Montag, 25. April 2011

Dean & Britta - 13 Most Beautiful… Songs for Andy Warhol’s Screen Tests


Immer wieder diese nicht tot zu kriegende Sixties-Referenzhölle. Beatles, Stones, Bob Dylan, der Sommer der Liebe, Drogen, Kennedys Ermordung, Kings Ermordung, Vietnam, Studentenunruhen, Woodstock… Oder auch Andy Warhol, seine Factory, Velvet Underground und Nico. Waren die 60er Jahre wirklich dermaßen archetypisch für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts? Und sind sie das bis heute? Oder hat das eher was mit Meinungsführerschaften, Vermarktungsstrategien und Kaufkraft zu tun?

Ein neues Sixties-infiziertes Produkt steht jedenfalls schon seit letztem Jahr in den digitalen Ladentheken. Dean & Britta haben mit »13 Most Beautiful… Songs for Andy Warhol’s Screen Tests« die Andy-Warhol- und Velvet-Underground-Dose aufgemacht. Es handelt sich – wie es der Albumtitel schon verrät – um 13 Songs, die als Musik zu 13 von Andy Warhols »Screen Tests« entstanden. Darunter sind auch einige Remixe, auf einer zweiten CD sind vier weitere Remixe und vier „Original Mixes“ versammelt, die nicht für die »Screen Tests« verwendet wurden. Das ganze geschah auf Einladung des Andy Warhol Museums und des Pittsburgh Cultural Trust, bereits vor dem Release des Albums (bzw. der CD/DVD Box) tourten Dean & Britta damit durch die USA und die übrige Welt, bis 2012 sind weitere Aufritte rund um den Globus geplant. Am 26. April spielen Dean & Britta in Münster im Gleis 22 ihr einziges Deutschland-Konzert, allerdings werden dann Galaxie 500 Songs zelebriert, nicht die »13 Most Beautiful…« Sachen. Ich würde töten, um das zu sehen, habe aber erst vor kurzem wieder einmal gelernt, dass man manche Sachen nicht übers Knie brechen sollte.

Von den »Screen Test« hat man bisher in der Regel mehr gehört als gesehen. Erstmals sind parallel zur Veröffentlichung der »13 Most Beautiful…« Box auch einige der frühen Filme Andy Warhols auf DVD veröffentlicht worden. Warhol hat von 1964 bis 1966 400 bis 500 dieser »Screen Tests« gemacht. Eine unbewegte Kamera filmt das Gesicht des Porträtierten für drei Minuten, so lang wie eine 16-Millmeter-Filmrolle zum Durchlaufen braucht. Ziel Warhols war es, das „Innere“ der porträtierten Menschen – berühmte Schauspieler und Pop-Stars genauso wie Unbekannte aus dem Factory-Umfeld – zum Vorschein kommen zu lassen. Das bedeutete aber auch, dass die Kamera eine gewisse Unerbittlichkeit haben musste. Letztendlich, das zeigen die 13 »Screen Tests«, kommt es aber auf die porträtierte Person an, inwiefern sie diese Unerbittlichkeit zuließ oder ihr auswich. In jedem Fall aber findet eine Fetischisierung der Porträtierten statt, ein Effekt, der durch eine kaum wahrnehmbare Zeitlupe verstärkt wird: Die ursprünglich drei Minuten eines Films wurden auf vier Minuten gedehnt. Diese Fetischisierung wird durch die Musik nun natürlich verstärkt.



Dean & Britta, aus Deans Band Luna hervorgegangen und seit nunmehr fast 10 Jahren gemeinsam unterwegs, machen eigentlich einen auf Serge Gainsborough und Jane Birkin. Duette mit tiefer und hoher Stimme, mit viel Gehauche, chansoneske Pop-Songs, viele Streicher, viel Schmalz. Hart, extrem hart an der Grenze zu Kitsch. Dean Wareham mit tiefer Stimme, ganz ungewohnt, wenn man an die drei Alben der unsterblichen Galaxie 500 denkt, deren Sänger und Gitarrist Dean einst war. Aber das ist eine andere Geschichte.

Mit „13 Most Beautiful…” haben sie die Chanson-Pfade verlassen und sich wieder mehr in Richtung Velvet Underground bewegt. Das passt, weil Velvet Underground in Warhols Factory ihren Anfang nahmen, weil mit Lou Reed und Nico auch auf den »Screen Tests« zwei Velvets zu sehen sind, aber auch weil Dean Wareham seit Galaxie-500-Zeiten Fachmann in Sachen Velvet Underground ist. Das Ergebnis ist dann auch entsprechend fantastisch: mal bedrohlich, mal traumhaft, mal mit, mal ohne Gesang ist zu jedem »Screen Test« ein passender Song entstanden. Dean & Britta bedienten sich bei Covern, Dean & Britta Stücken und eigens für das Projekt geschriebenen Songs.

Für den »Screen Test« von Nico wurde das Bob Dylan Stück »I’ll Keep It With Mine«, das erst in der Version von Nico selbst bekannt wurde, gewählt. Dean & Brittas Version ist um einiges leichter und luftiger, ganz dem vergleichsweise lockeren »Screen Test« entsprechend, in dem Nico mit ihren Haaren und einer Zeitschrift spielt. Britta versucht erst gar nicht, Nicos eindringlichem, düstern Gesang zu imitieren, und optiert stattdessen für einen hellen, glasklaren Gesang, der aber ebenso schlüssig ist. Der vorsichtige Autotune-Effekt des Scott Hardkiss Remix‘ sorgt für einen Hauch Modernität und verhindert vor allem, dass die Angelegenheit all zu authentisch daher kommt.

Das Hauchen der Texte ist bei manchen Liedern geblieben, so zum Beispiel beim Cheval Sombre Cover »I Found It Not So«, das Ann Buchanans »Screen Test« begleitet. Statt kitschig zu wirken, verleiht es dem Song hier aber Tiefe, die Traurigkeit und das Geheimnisvolle des Songs gewinnen an Intensität. Genauso traurig und etwas verloren wirkt auch Ann Buchanan.

Lou Reeds arschcooler »Screen Test«, in dem er sonnenbebrillt eine Coca-Cola-Flasche leert, und damit eben auch verhindert, dass die Kamera sein „Inneres“ ablichten kann, wird ebenfalls mit einem Cover bedacht. Die Velvet Underground Rarität »I’m Not a Young Man Anymore« unterlegt, düster und bedrohlich vom Bass bis zum Gesang, das unfreiwillige Product Placement des Erfrischungsgetränke-Herstellers. Die Textzeilen müssten Lou Reeds performter Coolness eigentlich entgegenwirken, bei derart rasanter und bedrohlicher Musik kann davon allerdings nicht die Rede sein.

Aber auch wenn kein Velvet-Stück gecovert wird, kommen die Lieder entschieden Velvet-like rüber. Schon das erste Stück, »Silver Factory Theme«, wartet mit dieser Velvet Underground eigenen Spannung auf, ein Thema wird immer wieder auf der Gitarre wiederholt, dass die Spannung und diese gewisse Bedrohlichkeit immer weiter anschwellen. Irgendwann kommt dann doch noch ein erlösender Break, nur damit das Spiel von vorne beginnen kann, auf der nächsten Stufe. Andere Songs nehmen sich die ruhigen Lieder der dritten Velvet Platte zum Vorbild, wirken verträumt, düster oder traurig. Trotzdem wirken die Songs nie wie schlichte Kopien, dafür ist Dean Wareham ein zu starker Songwriter bzw. Song-Aneigner.

Dass sich bei einem derartigen Projekt Nostalgie nicht vermeiden lässt, liegt auf der Hand, zumal alle Songs die Wirkung der Filme unterstützen und nicht etwa brechen. Trotzdem ist ein eigenständiges Album herausgekommen, dessen Lieder alle eine intime, sorgfältige Auseinandersetzung mit dem jeweiligen »Screen Test« darstellen, die aber auch ohne Film ihre Wirkung nicht verfehlen. So lange derart schöne Sachen dabei heraus kommen, kann sich ruhig weiter in der Sixties-Referenzhölle herumgetrieben werden.



Dean & Britta: 13 Most Beautiful... Songs for Andy Warhol's Screen Tests
Double Feature, VÖ 27.07.2010

-> Dean & Britta
-> Dean & Britta spielen am 26.04. in Münster im Gleis 22

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