Montag, 4. April 2011

1, 2, 3, 4, 5, 6, 77! - The Shocks


Punkrock ist tot! Wer bis auf die Punks selbst wüsste das nicht. Aber, liebe Leser, wir reden hier nicht von staubigem, spaßfreien Punkrock a la Dritte Wahl, der sich im eigenen, ewig gleichen Morast dreht wie eine Nadel in der Auslaufrille eines Plattenspielers, den man vergessen hat, auszuschalten. Oder gar von der Zwieback-Ödnis, die die Intro mit Punkrock verwechselt, wenn sie mal wieder die Nachfolge der viel zu spät aufgelösten Muff Potter in irgendwelchen schlaffen, vermeintlich raubeinigen Befindlichkeits-Muckern feiert. Wir reden nicht von „Punkrock,“ der aus einer Anti-Haltung heraus entsteht, die man als Teenager irgendwann einmal aufgeschnappt hat, und an die man sich seither so gut gewöhnt hat, dass man den Stachel gar nicht mehr spürt. Wir reden von 1977, von Frische, Intensität, Wut und Hedonismus. Wir reden von the Shocks.

Dresden, Chemiefabrik, Herbst 2006. Keller-Atmosphäre, Bierchen trinken, kickern, Vorband, dann die Shocks. Bis zum letzten Song pogen die vielleicht 100 Leute. Eines von den Konzerten, bei denen man nur kurz zwischen den Liedern verschnauben kann, bevor man, sowieso schon völlig durchgeschwitzt, wieder in den Menschenklumpen springt. Total am Ende aber glücklich, mit einem verdrogten Lächeln im Gesicht. Wenn man nicht sowieso bei jedem Lied wild herum springen müsste, weil die Lieder der Shocks eben Lieder sind, zu denen man gar nicht anders kann, als wild herumzuspringen, dann müsste man das tun, weil man genau so alles geben will, wie die Band das tut. Ich hatte schon zu der Zeit nichts mehr mit Punkrock am Hut, aber diese Band war die späte Erfüllung all der uneingelösten Versprechen, mit denen man als Punk, ständig auf der Suche nach dem intensivsten Konzert und der verrücktesten Party, so lebte.

Zu viel Input um mich rum das macht mich schlapp und dumm ich brauch n Kick

Zu viel Input um mich rum das macht mich schlapp und krumm ich brauch n Kick
Tag für Tag die selbe Leier
Ich hänge in der Leine wo sind meine Eier

Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick
Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick
Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick
Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick
Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick
Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick - More Kicks
More Kicks - More Kicks - More Kicks
Aaah, more Kicks

Ich war peinlich spät durch meinen Bruder zu Punkrock gekommen. So spät, dass ich trotzdem weiter auch Pink Floyd hörte, und mir kein Punk-Outfit mehr zulegte. Trotzdem hatte ich mit Punkrock die allerbesten Jugend-Erfahrungen gemacht. Konzerte von drittklassigen Punkrock-Bands im Zwickauer Gasometer, bei denen wir uns das erste mal zaghaft und noch voller Respekt in den Pogo-Kreis wagten. Später abgeklärtes, selbstsicheres Hineinwerfen und Pogen auch in den härtesten, von boxenden Oi-Skin-Schränken durchsetzten Pogo-Mobs. Nichts mit Festhaken, Eingraben und Schützen, meist unter Inkaufnahme von Rippenschmerzen. Unvergessliche Konzerte von Terrorgruppe, Fucking Faces, UK Subs und Vibrators , im AJZ Talschock in Chemnitz, im Leipziger Conne Island, im Alten Schlachthof in Dresden, irgendwo in Schwarzenberg. Mit am schönsten immer die nach Hause Fahrt, wenn man die ganzen blauen Flecken überhaupt erst spürt und sich so angenehm kaputt fühlt. Die eigene Punkrock-Band inklusive Eierpappen-Proberaum, tausend verrückte Geschichten, sehr viel Bier, Diskussionen über Nazis, Bullen, Hippies, Pseudo-Punks, Anfeindungen von Nazis. Das ganze Identitätsfindungs-Ding. Die Musik immer dabei.

Und irgendwann war das dann alles wieder vorbei. Überall nur noch Kinderpogo, nichts, was man nicht schonmal irgendwo härter, krasser, intensiver erlebt hätte. Dazu durchschaute man die Bands - und viele andere Punks - so langsam als etwas stehen geblieben in der Zeit. Ich schaute meistens nur noch zu und warf mich höchstens mal für ein paar Lieder ins Getümmel, das fühlte sich dann immer ziemlich nostalgisch an. Und schließlich kaum noch Punkrock. Bis wieder mein Bruder eines Tages mit den Shocks ankam. Auf einmal alles wieder da.

Sie ist ne kleine Vorstadtschlunze und hat keinen Bock
Auf Schule, Arbeit und Familie und Mutters Unterrock
Sie ist gelangweilt und frustriert und voller Energie
Sie hat sich jetzte jäh verpisst aus der trauten Lethargie

Sie ist dreizehn und sie hat es -
Sie ist dreizehn und sie hat es -
Sie ist dreizehn und sie hat es -
Sie ist dreizehn und sie hat es allemal weg

Die Shocks erfinden das Rad natürlich keineswegs neu. Und man kann ihnen ohne Probleme die selben festgefahrenen Denkmuster und das selbe naive Politik-Verständnis vorwerfen, das man 100% des restlichen Punkrock, sobald es sich Punkrock nennt, vorwerfen muss. Und natürlich leben die drei Jungs SMail (Gesang, Gitarre), Alex (Schlagzeug) und Don Lotzo (Bass) ihr Lederjacken-Punkrock-Dasein. Es ist also alles ziemlich authentisch hier. Ihre Musik ist kein arty Spiel mit Punkrock-Referenzen, kein kreatives Überführen von Punkrock in andere Stil- und Musikrichtungen, sondern ernst und ehrlich gemeinte Hausmannskost. Nur dass der Diskurs eben schon zwanzig Jahre weiter ist; Punk eigentlich nur noch das sein kann, was nicht nach Punkrock klingt.

Doch das alles wischen die Shocks mit ihrer Frische und Scheißegal-Attitüde vom Tisch. Die Shocks spielen zum Teil schneller, als die allerschnellste „Punkrock“-Band, die doch nur Rolling-Stones-Riffs in schnell spielt. Die Leichtigkeit, mit der das geschieht und mit der Bass, Schlagzeug und Gitarre in eins greifen, lässt das aber nie prahlerisch, protzig, plump oder muffig wirken. Auch, weil alles so einfach klingt. Die Surf-Gitarre in vielen Songs verstärkt diese Leichtigkeit noch einmal. Geradezu vorbildlich Tarentino-tauglich ihre Surf-Instrumentals. The Shocks spielen einfachen, schnellen Seventies-Punkrock ohne Umwege. „Nasty Nasty“ von 999, wenn man so will, aber auf eine Weise, als wäre das gestern zum ersten Mal gespielt worden. Und genau so unaufdringlich und unmittelbar gehen die fantastisch einfachen Melodien in die Ohren.

Du stehst morgens auf aber willst gar nicht
Parfumgestank schlägt dir in der U-Bahn ins Gesicht
Dieselbe scheiße hast du jeden Tag

Nicht mehr lange und du kackst ab


Und du musst schuften gehn - Ahahah

Du musst deinen Mann stehn

Und du musst Schuften gehn

Du hast zwei Kinder, ne Frau
und ein Haus
Und wartest auf d
ie Sechzig, denn da machst du einen drauf, aha

Die Shocks singen über Punkrock-Themen. Kein Bock auf Arbeit, machen, was man will, die Anonymität der Moderne, die Kälte der großen Stadt, der Hass auf die Angepassten. Keineswegs besonders clevere Punkrock-Texte, aber einfach und auf den Punkt. Was schwieriger ist, als man denkt. Zum Teil sind es bis auf die Essenz abgekochte Punkrock-Texte, die man so höchstens in der kurzen Glanzzeit des deutschen Punkrock von 1978-1980 schon einmal hörte. Die nie mit großen Metaphern oder Bildern um sich werfen, aber auch nie zu direkt oder doof sind. Sehr englische Texte, früher Rock ‚n‘ Roll, aber eben auf Deutsch. Vorgetragen mit einer Stimme, die manchmal wie ein Quaken wirkt, die zwar vehement ist, der das aber auch alles ziemlich egal zu sein scheint.

Du hast mich angerufen

Denn zwischen uns war alles klar
Aber nur wenige Minuten
Und der alte Scheiß war wieder da

Völlig krank was hier abgeht
Hab‘s bis heute nicht kapiert
Hau doch ab oder bleib hier
Ich weiß nicht mehr Kein Plan mehr da

Es raucht mich auf - Schizophrenia
Wir leben in - Schizophrenia
Es raucht mich auf - Schizophrenia

Wir leben in – Schizophrenia


Einziger Makel: The Shocks haben sich vor zwei Jahren aufgelöst. Es bleiben die Schallplatten, und die Hoffnung auf eine baldige Reunion. Denn: derart begabte Punkrocker hat das Land lange, lange nicht gesehen.

»Parasit«, Schokoladen, Berlin, 2008

Absolute Empfehlung: Alles!
Too Many Kicks in 96 (1996)
More Cuts for You in Zero Two (2002)
Bored to Be in Zero Three (2003)
The 7-Inches (2004)
Banned from the USA (2004)
Brace, Brace... (2007)

-> http://www.myspace.com/theshocksde

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