Sonntag, 23. Januar 2011

Holt mich hier raus (Ich bin hier vor der Wand). Der zweite Erfindungsabend von Schorsch Kamerun, Kammerspiele, 21.01.2011

Schorsch Kamerun (of Goldene-Zitronen-Sänger-goes-Theaterregissuer-Fame, zurzeit sowohl bei den Münchener Kammerspielen als beim Hamburger Thalia-Theater) ruft zum zweiten Erfindungsabend in die Spielhalle der Kammerspiele. Einigermaßen gespannt – weil uninformiert – sehen wir einem Abend entgegen, der mit Namen wie Dietmar Dath, Pollyester, Alexander Kluge, Mouse on Mars und eben Schorsch Kamerun glänzt.

Erste Überraschung ist schon mal, wie viele Leute zu so etwas kommen, der Laden ist voll. Andererseits: vielleicht hat der Name Schorsch Kamerun (oder auch Pollyester, oder Mouse on Mars?) wirklich schon so viel Strahlkraft, dass sich die Leute – wie wir – allein deswegen massenhaft einfinden? Wir scheuen keine Konformität und machen es uns mit den anderen Twentysomethings/ Don’t-call-them-Hipsters vor der Bühne auf Kissen „bequem,“ man will ja ganz vorne dabei sein. Die meisten älteren Gäste nehmen auf den Bühnenrängen hinter uns Platz. Während man sich das erste Bier holt, laufen schon die butterweichen funky Tracks, für die ich Pollyester so liebe. Elektrostücke, bei denen ein analoger elektronischer Bass gespielt wird, mit genau der richtigen Menge Cheese. Hmm.

Dann kommt Schorsch Kamerun auf die Bühne und erklärt, worum es hier eigentlich gehen soll und wird, nämlich die aktuellen Vorbereitungen der nächsten Projekte der Kammerspiele vorzustellen und ein wenig zu erklären, was dabei die Hintergedanken so denken. Diesmal mit mehr Betonung auf dem E wie „Ernst,“ statt U wie „Unterhaltung;“ die nämlich sei ein wenig zu viel gewesen das letzte Mal, was einheitlich scharfe Kritik geerntet hat. Auf dem Programm heute standen also keine Penis-Operation-Geschichten, sondern Franz Schuberts »Winterreise«, sowie Dietmar Daths Utopie/ Dystopie »Die Abschaffung der Arten«. Untermalt wie schon beim letzten Mal von sogenannten Minutenfilmen von Alexander Kluge; zwischen den Beiträgen spielt Schorsch Kameruns »Erfindungsband« thematisch verwandte Sachen.

Zunächst also erst einmal Christoph Homberg, ein ganz großer Oratorien-, Konzert- und Opern-Sänger, der zurzeit an den Kammerspielen für die musikalische Konzeption von Elfride Jelineks Adaption von Schuberts »Winterreise« verantwortlich ist. Er singt uns, nur begleitet von einem Klavier, drei Stücke von Schubert vor. Danach will er uns zeigen, dass ein(e) jede(r) Opern-Style singen kann, und macht mit den Zuschauern Gesangsübungen. Die machen zu meiner Überraschung sogar sofort richtig mit, und das Ganze klingt auch gar nicht so schlecht, wie man es von so einer ungeübten Truppe erwartet; ich selber versage allerdings kläglich.

Als nächstes Dietmar Dath, der von Katarina Agathos interviewt wird. Anlass ist die 12teilige, und -stündige (!) Vertonung seines 550-Seiten-Buchs »Die Abschaffung der Arten«, bei der Katarina Agathos für die Dramaturgie verantwortlich zeigte. Ich bin einigermaßen fasziniert von dieser Gigantomanie und auch etwas (positiv) überrascht, dass der BR so ein Projekt tatsächlich durchzieht (zumal Dath bekennender Marxist und nicht unumstritten ist). Das Interview gerät allerdings einigermaßen anstrengend. Dath macht zwar kluge Aussagen zum Verhältnis von Kultur/ Künstlichkeit und Natur/ Authentizität, zu Kapitalismus, Demokratie, Utopien und seinem Autoren-Ich. Agathos geht aber kaum weiter auf die Antworten ein, sodass es bei einem drögen Frage-Antwort-Spiel bleibt, statt ein angenehmes Gespräch zu werden.

Wem das zu blöd wird, dem bleiben noch die Minutenfilme von Alexander Kluge, die – Abschaffung der Arten! – ganz ohne Lebewesen auskommen und verschiedene Naturschauspiele oder auch Schneeraupen nachts im Zeitraffer zeigen. Ganz nette Ideen, ganz nett anzusehen. Auch das Jugendtheater wird auf die Leinwand projiziert, beim Herumklettern unter den Zuschauerrängen. So etwas kennt man nun allerdings auch schon aus jedem zweiten Theaterstück.

Dazwischen immer wieder kurze Intermezzi der Erfindungsband (u.a. mit Pollyester am Bass), die ebenfalls die Winterreise interpretieren, später am Abend auch noch Goethe und Dietmar Dath. Meines Erachtens das beste Puzzleteil des heutigen Abends: punkig gesungene Beatmusik, die durch Schorsch Kameruns Gesang und die Hammond-Orgel zuweilen an die Goldenen Zitronen erinnert. Auch das einzige, was meiner Wahrnehmung nach mit »Erfindung« zu tun hatte.

Weswegen auch dieser Erfindungsabend seinen Ansprüchen nicht gerecht wurde. Bis auf die Songs der »Erfindungsband« wurde nichts »erfunden«, die einzige Interaktion mit dem Publikum – und da hatte ich eigentlich den Kern des Projekts vermutet – war die Gesangsübung von Homberg. Und lediglich Dietmar Dath hatte wirklich etwas zum Thema des Abends, Evolution und Revolution, zu sagen. Statt (spontaner?) Blödelei wie beim letzten Mal, gab es diesmal gar keine Performance. Fragt sich, was überhaupt groß »erfunden« werden kann an so einem Abend. Meines Erachtens kann das – in Abgrenzung zu den ja auch »erfundenen« Ideen, Performances und Kostümen von Theaterstücken – nur in so etwas wie Spontanität oder Publikumsinteraktion liegen. Schorsch Kameruns Strategie beim ersten Abend schien gewesen zu sein, dem „Ernst“ einer Auseinandersetzung mit Theaterthemen einfach mehr „Unterhaltung“ beizumischen. Heute blieb dann kaum mehr etwas von Beidem.

Als Entschädigung für einen lauen Abend bekam man immerhin noch einen Auftritt von Mouse on Mars, die die Musik zu Daths Höspiel gemacht haben. Aber will man das dann nicht doch lieber im Club? Aufhebung der Grenzen von Hoch- und Populärkultur ist ja schön und gut; wenn dafür aber die jeweils überzeugendsten Argumente dieses Gegensatzpaares geopfert werden, läuft es in die falsche Richtung. Vielleicht erfindet Schorsch Kamerun beim dritten Anlauf eine überzeugendere Lösung dieses Problems. Vielleicht gehe ich einfach mal wieder in ein Theaterstück, und schaue, was dort so erfunden wird.

-> http://www.muenchner-kammerspiele.de/programm/holt-mich-hier-raus-ich-bin-hier-vor-der-wand/

Mittwoch, 19. Januar 2011

Albumkritik - »Schall und Wahn« von Tocotronic - bemüht und uninspiriert

Albumcover zu "Schall und Wahn"
Die Idee ist gut, aber.. Tocotronics neue Platte enttäuscht trotz Blumencover. 
Tocotronic – meine absolute Lieblingsband – haben sich verrannt. Ihre neue Platte »Schall und Wahn« gefällt mir nicht. Das heißt auch, sie gefällt mir noch weniger als »Kapitulation«, die Platte davor, die mir noch weniger als »Pure Vernunft darf niemals siegen«, die Platte davor, gefallen hat. Und bei der fing das auch schon an, mit dem sich einschleichenden unguten Gefühl. Und sowas muss ja Gründe haben. Es stellt sich die Frage: wer irrt? Tocotronic oder ich? Zumal Hannes die neue Platte ja für die beste der im Nachhinein ausgerufenen „Berlin-Trilogie“ hält. Und es mir fernliegt, in den lamentierenden Singsang eines „früher waren die besser“ einzustimmen, der ja oftmals eh nur ausdrückt, dass man sich die verlorene Zeit seiner Jugend zurückwünscht.

Im Gegenteil: einiges ist ja besser und schöner geworden. Tocotronic hatten sich spätestens mit »KOOK« von den immer wiederkehrenden Jungsthemen abgewandt. Auch ihre sympathische Larmoyanz hatten sie mit diesem Album über Bord geworfen, kurz bevor sie sich totlaufen und zur öden Quengelei von verwöhnten Muttersöhnchen aus bildungsbürgerlichem Hause verkommen konnte. Die schlichte Mitteilung von Sachen, die man hasst, die einen stören oder (seltener) die man mag, hatte sich erledigt. Statt dessen traten verschwurbelte, beziehungsreiche Texte, aufwendige Instrumentierungen und ausgefuchste Arrangements auf den Plan. Es gibt kaum eine Lied-Passage, die ich mehr liebe als das „Manchmal, wenn wir liegen, in einem Zustand des Erwachens zwischen Nacht und Tag…“ von »Schatten werfen keine Schatten«. Queerness, Camp und feminin codierte Texte wie Gesänge fanden Einzug in den „tocotronischen Kosmos,“ auch dieses Wortpaar so eine campy verschwenderische Selbsterhöhung. Die Umarmung von Science Fiction, Dirks Buffy-Shirt, der Gruß an die Zwitterwesen auf den aktuellen Konzerten, das „Es grüßen euch wie immer auf das Allerherzlichste“ im Newsletter: alles ganz großartig.

Die Agenda könnte also kaum besser aussehen. Mit stereotypen Geschlechterzuschreibungen wird gespielt, jeglicher Form von (Selbst-)Disziplinierung eine Absage erteilt, emsiges Netzwerkeln verspottet, demütigender Selbstausbeutung eine heilsame Selbstverschwendung gegenübergestellt, dem sich-sicher-Sein der Zweifel. Das nicht-Funktionieren ist (nach wie vor) das Anliegen von Tocotronic.

Wenn da die Musik nicht wäre. Die wird nämlich, gewissermaßen im Gegensatz zu den guten Absichten Tocotronics, immer perfekter, schwerer, formalisierter und rockistischer. Geradezu abschließend perfekt war auch »Tocotronic«, allerdings besaß die Musik eine Leichtigkeit und Klarheit, die strahlte, und traumverwunschene Texte, die aus Paralleluniversen zu kommen schienen. Beides ging den Liedern von »Pure Vernunft…« zuweilen ab; beides ist bei »Schall und Wahn« nur noch die Ausnahme. Durch und durch formalisiert war schon »Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein«, nur hat man das nicht gehört. Die neuen Stücke wirken zuweilen penetrant berechnet: Ah ja, das wilde Punk-Stück. Verstehe, das zarte Liebeslied. Wo bleibt das Durchtriebene? Wo der Wahn des Albumtitels?

Und in die Mucker-Falle sind sie getappt; und das, wo doch Muckertum von Anfang an auf der No-Go-Liste Tocotronics stand. Lieder wie »Ein leiser Hauch von Terror«, »Macht es nicht selbst«, oder »Stürmt das Schloss« sind vielleicht nicht durchweg rockistisch – der verkünstelte, manchmal feminin codierte Gesang bewahrt noch vor Schlimmerem – kommen dem aus guten Gründen verpönten Muckertum aber verdammt nahe, zu nahe für meinen Geschmack. Der Raumklang der Mikrofonierung des meiner Meinung nach fatalen Moses Schneider (Produzent der letzten drei Alben, womit ich nicht ihm die Schuld in die Schuhe schieben möchte, denn Tocotronic, soviel darf man unterstellen, wissen, was sie tun) soll angeblich verhindern, dass der Sound zu fett daher kommt. Hören kann ich das allerdings nicht, und hinsetzen und mich nun extra darauf konzentrieren wird mir erst recht nicht einfallen. Mir wird ja schon schlecht, wenn Dirk von der seiner Meinung nach überragenden Mikrofonierung des Moses Schneider schwärmt. Oder von den angeblich avantgardistischen (Neue Musik!) Streicherarrangements von Thomas Meadowcroft, die zwar durchaus interessanter als gängige nullachtfuffzehn Pop-Streichereien sind, dem Muckertum aber nicht entgegenwirken. Das ganze reduziert sich auf die plakative Frage: Wozu live einspielen, wenn das Ergebnis trotzdem nach Standard-Rockaufnahme klingt? Vielleicht sollte ich doch genauer hinhören? Aber weswegen wurde denn einmal das ganze Projekt »Rock ‚n‘ Roll« gestartet?

Auch die Texte kommen auf »Schall und Wahn« plumper denn je daher. Allen voran »Stürmt das Schloss«, dass musikalisch wie textlich einfallsloseste Stück der Platte. Man wollte wohl einen sloganhaften, einfachen Punk-Song à la »Alles, was ich will, ist nichts mit euch zu tun haben«. Der Refrain („Anormale! Stürmt das Schloss! Ausgeflippte! Stürmt das Schloss! Abgeschaffte! Stürmt das Schloss! SDS! SDS! SDS!“) bewegt sich allerdings auf Tote-Hosen Niveau; und Zeilen wie „Durchquert den endlosen Sand/ Teilt das durstige Meer/ Jagt der Narrheit hinterher/ Durchstreift das karstige Land“ sind allenfalls dürftige Parodien ähnlich angelegter, allerdings um weiten einfallsreicherer und verworrenerer früherer Tocotronic-Zeilen. Da hilft auch kein Verweis auf den sozialistischen deutschen Studentenbund oder »DSDS«, plump bleibt plump. Wie hier fordern die Texte auch in »Macht es nicht selbst« und »Bitte osziliieren Sie« zu etwas auf, und das ohne Umschweife oder Unklarheiten. Ob man das gut findet, sei jedem selbst überlassen. »Keine Meisterwerke mehr« ist der programmatische Song nach dem „Meisterwerk“ »Kapitulation«, bleibt textlich aber ebenso eindeutig wie langweilig. Das Schwelgerische und Selbstverschwenderische vieler früherer Tocotronic-Zeilen blitzt hier und da noch manchmal auf (etwa in der Zeile „Eure Liebe tötet mich/ Und doch bin ich unersättlich/ Weil ihr zur gleichen Zeit/ Die Medizin verschreibt/ Unersetzli-ich“ aus »Eure Liebe tötet mich«); die Texte sind nach wie vor reich und ungewöhnlich bebildert und mit den gewohnt mystisch-erhabenen Worten durchzogen. Ihnen fehlt allerdings fast durchweg das Vage und der Beziehungsreichtum – wegen mir auch das Rhizomatische – früherer Zeilen bzw. Texte. Stattdessen bekommt man einfach zu lesende Metaphern vorgesetzt, denen man auf seltsame Weise anmerkt, dass ihnen Gewalt angetan wurde. Vielleicht wurde beim Schreiben zu viel gewollt und zu wenig sich selbst überlassen?

Der einzig wirklich überzeugende Song – Text wie Musik – ist meines Erachtens »Im Zweifel für den Zweifel«, eine wunderschönen Kaskade an Zweifeleien, in der es heißt: „Im Zweifel für den Zweifel/ Das Zaudern und den Zorn/ Im Zweifel fürs Zerreißen/ der eigenen Uniform// Im Zweifel für Verzärtelung/ Und für meinen Knacks/ Für die äußerste Zerbrechlichkeit/ Für einen Willen wie aus Wachs// Im Zweifel für die Zwitterwesen/ Aus weit entfernten Sphären/ Im Zweifel fürs Erzittern/ Beim Anblick der Chimären…“ Das Ganze gesungen zu einer einfachen Akustik-Gitarre und einer wehleidigen Geige. Traumhaft schön.

"Im Zweifel für den Zweifel" auf tape.tv
Vielleicht das beste Lied des Albums: »Im Zweifel für den Zweifel«
Nicht, dass das falsch verstanden wird: ich möchte keinesfalls, dass Tocotronic irgendwie „authentischer“ rüberkommen. Gerade das Campige und das Übertriebene ist ja das derzeit spannendste an Tocotronic. Das Maß an Perfektion, Berechenbarkeit und Muckertum, das man auf der aktuellen Platte vorfindet, ist allerdings ein wenig zu viel des Guten und steht den Absichten der Band, und manchmal den Texten entgegen. Dirk sagte vor kurzem in einem Interview: „Kunst braucht etwas Zweifelndes. Wenn die zu selbstbewusst ist, dann ist sie meistens fürchterlich. Ich finde es immer interessant, wenn Kunst ihre eigene Unsicherheit ausstellt.“ Genau deswegen heißt und ist das beste Lied auf »Schall und Wahn« auch »Im Zweifel für den Zweifel«. Genau das fehlt den meisten anderen Liedern allerdings; die Musik von Tocotronic ist sich ihrer Sache zu sicher. Damit einher geht ein Verlust von Leichtigkeit; Tocotronic rücken in die Nähe der Art von angestrengt-formelhafter wie langweiliger Musik (bzw. Kunst im Allgemeinen), die man im Deutschen so oft vorfindet, wenn es politisch sein soll. Das ist dann vielleicht noch relevant, kann aber nicht mehr begeistern. Beides zu verbinden war einmal die große Stärke von Tocotronic.

Nach dem Abschluss der „Trilogie“ der im Sound dann doch recht ähnlichen letzten drei Alben, wäre ein erneuter Hakenschlag von Tocotronic ja fast schon zu erwarten. Es würde Ihnen in keinem Fall schlecht stehen. Die Zeit bis dahin werde ich mich mit früheren Platten und anderen Bands vertrödeln; das aktuelle Album ist schlichtweg zu bemüht und uninspiriert.

Tocotronic: Schall und Wahn
Vertigo, VÖ 22.01.2010

-> http://www.tocotronic.de/