Sonntag, 15. Januar 2012

Lass uns über die Hamburger Schule reden!

Die Braut haut ins Auge sangen unter anderem vom »langweiligsten Jungen der Welt« und vom »Mann
mit Hang zur Depression«

»Informationen finden sie wichtig, Unterdrückung prangern sie an, Kapitalismus finden sie scheiße und dass Dialog nie funktionieren kann«, sangen die Lassie Singers 1992 in »Männliche Mitmenschen XY ungelöst« auf ihrem Album »Sei á Gogo« und ein paar Zeilen weiter: »Es ist ja nett von euch, dass ihr euch in uns rein versetzen wollt, doch das wird nichts, lasst das lieber sein, wir lieben euch, wir wollen euch, wir nehmen euch, so wie ihr seid!« Auf unnachahmlich charmante Weise haben die Lassie Singers schon damals die Kompliziertheiten von Männern des Typs »Hamburger Schule« besungen, die auch in »Lass uns von der Hamburger Schule reden« immer wieder thematisiert werden: Diskussionswut, Gerede von Gleichberechtigung, unnötige Ver-komplizierungen im Verhältnis zu Frauen und allgemein das Scheitern darin, ein irgendwie besserer Mann sein zu wollen. Das Buch will unter anderem das Geschlechterverhältnis in der Wahrnehmung der Hamburger Schule geraderücken, will die Aufmerksamkeit einmal auf die Frauen lenken, die auf, aber gerade auch hinter der Bühne die Hamburger Schule entschieden mitprägten. Das Hauptanliegen aber ist ein anderes: dank der Erweiterung des Blickfeldes auf, neben Musik, Grafikdesign, Journalismus, Promotion und Labelarbeit soll ein möglichst vielseitiges Porträt der unter dem Begriff »Hamburger Schule« zusammengefassten Musik-Szene der 1990er Jahre entstehen... weiterlesen auf www.beatpunk.org

»Männliche Mitmenschen XY ungelöst« von den Lassie Singers

Jochen Bonz, Juliane Rytz, Johannes Springer (Hg.): Lass uns von der Hamburger Schule reden. Eine Kulturgeschichte aus der Sicht beteiligter Frauen. Ventil Verlag, 28.10.2011.

Sonntag, 8. Januar 2012

Übriggebliebene Gedanken zu Franz Josef Degenhardt

Vor knapp zwei Monaten, am 14.November 2011 ist Franz Josef Degenhardt mit 79 Jahren gestorben. Ich habe diesen Text damals nicht fertig bekommen und es ist nicht zu erwarten, dass ich mit dem Thema jetzt noch nennenswert Klicks erheische. Zu schnell ist so eine Meldung wieder vergessen. Degenhardt hatte sich zudem schon seit einigen Jahren aus gesundheitlichen Gründen aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen, aus dem öffentlichen Bewusstsein war er schon vorher so gut wie verschwunden, was, wie Konstantin Wecker und Prinz Chaos II. in einem Nachruf im Freitag berichten, auch damit zu tun haben mochte, dass seine Lieder ab Ender der 1970er nicht mehr im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gespielt werden durften. Wie man auch an vielen Kommentaren zu Nachrufen oder Youtube-Videos sehen kann, sind es außerdem größtenteils die Jugendlichen der 1960er und 1970er, denen Degenhardt überhaupt noch ein Begriff ist. Am 19. Dezember fand ein schon vor Degenhardts Tod geplanter Tribute-Konzertabend mit allerlei alten und jungen Liedermacher und –Macherinnen statt, aber trotz sehr großem Andrang fand sich darüber praktisch gar nichts mehr in den Medien.

Ich selbst habe nur eine Platte – »Lullaby zwischen den Kriegen« von 1983 für 3,90 € aus zweiter Hand – und die ist ziemlich unhörbar. Das hat alles einfach einen zu starken Mief von Bonner Republik und alten Schlachten. Schlachten, an die ich mich mit meinen 27 Jahren nicht erinnern, sondern von denen ich nur gelesen habe, und von denen wir heute sehr weit entfernt sind, von den Genossen, von der Bombe, von der SS – nicht, dass ich meinte, es wäre gut, dass das alles uns heute wie aus dem letzten Jahrhundert vorkommt, aus dem es ja tatsächlich kommt, obwohl es doch gerade mal gut 25 Jahre her ist. Dass es diesen Mief hat, liegt vor allem an der Musik, dieser verstaubten Liedermacher-Klampfe-Mucke, der jede Sexiness fehlt, aber auch an den Texten, weil diese ganzen Wörter heute eben antiquiert wirken, und weil dem Gesang irgendwie der Flow abgeht.

Und dennoch, eine gewisse Faszination hatte Franz Josef Degenhard, und die lag darin begründet, dass er es sich nicht gemütlich gemacht hat, wie all die anderen „wohlgelittenen Barden“ (so die Taz), wie Konstantin Wecker, Hannes Wader, Wolf Biermann oder Bettina Wegner, in dieser unglaublich selbstzufriedenen, unglaublich selbstverleugnenden und unglaublich lähmenden Wohnzimmergesellschaft der Neue-Mitte-SPD und Neue-Mitte-CDU und ihrer Mitte-Rechts-Realität. Deswegen, weil er wirklich störte, und weil er zum Beispiel auch hartnäckig Mitglied der DKP blieb, wurde er folgerichtig auch nicht gehätschelt und getätschelt von der öffentlichen Aufmerksamkeitsmaschine, fand er eigentlich schon lange gar nicht mehr statt und war Leuten meiner Generation auch kein Begriff mehr. Sein „politisches Engagement“ (schon diesen Begriff, der ja politische Betätigung als Mithelfen bei der Sicherung der Demokratie und der Verbesserung des „freundlichen“ Deutschlands auffasst, hätte er sicher abgelehnt) hörte eben nicht bei Friedensdemos und Nazis-raus-Benefizen auf. Es fand eben nicht innerhalb unserer „demokratisch-freiheitlichen Grundordnung“ seine Grenzen, sondern stellte auch die sich am erfolgreichsten als ideologiefrei darstellende Ideologie, die kapitalistische Demokratie, in Frage. Weswegen er – seit seinem Ausschluss aus der SPD 1971 – auch nicht auf Parteitagen der SPD oder der Grünen zu finden war, sondern bei denen der DKP. Was natürlich ein noch viel schrecklicher kleinbürgerliches und rückwärtsgewandtes Milieu ist, aber immerhin für ein Festhalten an gewissen Grundüberzeugungen und Idealen steht. Vor allem der, dass es ohne ökonomische Gleichheit weder echte Gleichheit, noch echte Freiheit, noch echte Demokratie geben kann. Degenhardts Hauptanliegen war aber vor allem ein Infragestellen von allgemein anerkannten Überzeugungen und ein Blicken hinter die Fassaden der Menschen dieses Landes.

Degenhardt über den venrünftigen und unvernünftigen Deutschen auf dem Burg Waldeck-Festival 1997

Und immer hat er in seinen Liedern genervt, mit seinen zum Teil so bitterbösen wie haarscharf analysierenden Texten, und sicher auch mit seiner oben noch bemängelten knöchernen Sprache und der sägenden Stimme. Deutschlandradio Kultur hat etwas sehr Schlaues gemacht und Schorsch Kamerun angerufen um sich mit dem Sänger der Goldenen Zitronen über Degenhardt zu unterhalten, betonen die Goldis doch immer wieder, wie viel ihr Gesangsstil und ihre Texte Degenhardt verdanken zu haben. Das Gespräch ist einerseits erfrischend, weil Kamerun keine Krokodiltränen vergießt (das hätte Degenhardt, dem alle Rituale verdächtig waren, wohl auch kaum gepasst) und weil er sich nicht einmal scheut, Degenhardt ein Verharren in veralteten, unattraktiven Formen (dem Klampfe-Song) vorzuwerfen. Es ist andererseits aufschlussreich, weil Kamerun einen Bogen nicht nur zu den Liedermachern der Burg-Waldeck-Festivals der 1960er spannt, sondern auch in die Gegenwart, zu den ganzen Weichspül-Klampfern wie Gisbert zu Knyphausen oder ClickCickDecker, bei denen die Welt meistens beim eigenen Bauchnabel aufhört. Es sagt nichts Gutes über unsere Zeit aus, dass dermaßen langweiliges und kitschiges Zeug heute derart beliebt ist. Als einzig vertretbaren deutschen Songwriter, als einzigen, an dem noch etwas Sperriges ist, würde ich derzeit Hans Unstern nennen. Aber dazu vielleicht ein andermal mehr.

»Spiel nicht mit den Schmuddelkindern« war der bekannteste Song Degenhardts, gleichzeitig aber auch einer seiner glattesten und harmlosesten. Mit seiner kreisförmigen Struktur – das Kind, das früher verbotenerweise mit den Schmuddelkindern spielte, wird schließlich selbst zum Schmuddelkinder-Sozialisation verbietenden Vater – eignet es sich nicht nur für den Deutsch-Unterricht der gymnasialen Unterstufe, es kann sich auch jeder, der seinen Kindern das Spielen im Sandkasten und das Verweilen am Kaninchenstall erlaubt, denkbar leicht von der Kritik ausnehmen.

Besser, widerspenstiger und böser ist Degenhardt zum Beispiel in »Deutscher Sonntag«, in dem er die brodelnde Unzufriedenheit und die latente Gewalt beschreibt, die sich hinter deutscher Biederkeit verbirgt, in »Entschuldigung eines alten Sozialdemokraten« oder in »Wildledermantelmann«, in denen er die Abkehr der SPD vom Sozialismus kritisiert, in »Vatis Argumente«, in dem er die Argumente der APO-Gegner bloßstellt, in »Arbeitslosigkeit«, in dem er die Schönfärberei von Politikern und Unternehmern entlarvt, in »So sind hier die Leute«, in dem er die Beliebigkeit von Fremdenhass aufzeigt, oder  in der «großen Schimpflitanei«, in der er eine Auswahl von Beschimpfungen aus an ihn gerichteten Leserbriefen aneinanderreiht. Es ist schwierig, hier Text-Auszüge zu bringen, denn Degenhardt-Texte funktionieren meist als Ganzes, einzelne herausgerissene Sätze können das nicht auf den Punkt bringen. Und jaja, okay, auch all diese Lieder würden sich wahrscheinlich für den Schulunterricht eignen, aber da sind wir halt wieder bei dieser Liedermacherei, die ihre Nähe zur Pädagogik selten verbergen kann.

Psychoanalyse eines Sonntags in Deutschland

Die Bissigkeit vieler Texte liegt dabei vor allem in der Strategie Degenhardts, der Strategie, den Gegner sprechen zu lassen und ihn sich so gewissermaßen selbst entlarven zu lassen. Natürlich legt Degenhardt den Gegnern diese Worte in den Mund, aber er kopiert schon sehr genau deren Sprechweise und Argumentation, auch, weil es umso besser funktioniert, je genauer das nachgeahmt wird. In »Arbeitslosigkeit« zum Beispiel, und damit kommen hier gleich doch noch ein paar Textbeispiele, nimmt er die Position eines FDP-, CDU-, CSU-oder mittlerweile eben auch SPD-Politikers ein und singt:

Na und / wissen Sie aus diesem Thema / müssen endlich mal die Emotionen raus / schon der Begriff / das klingt so muffig / arbeitslos / das riecht nach Klo und Kappes. / Zeitweilig unbeschäftigt / sollte man das nennen. / Sehen sie das ganze doch mal / ohne Vorurteile an. / Das soziale Netz ist gut geknüpft / mit einem Bruchteil von der Unterstützung / die so einer kriegt / fühlt sich ein Kuli in Kalkutta / doch als Krösus

In der »großen Schimpflitanei« ist das natürlich auf die Spitze getrieben, weil es eben wirklich eins zu eins die Worte der Gegner sind:

Lieber Doktor Degenhardt / Drecksau mit dem Ulbrichtbart / Zonenknecht, Sowjetspion / warte nur Dich krieg‘n wir schon. / Rote Wanze, Schweinehund / Jauche spritzt aus deinem Mund / Abschaum von der schlimmsten Art / Gaskammer für Degenhardt. / Stalin-Bolsche-Kommunist / dass du bald verrecket bist.

Diese Strategie ist es auch, die die Goldenen Zitronen sich für einige ihrer Lieder von Degenhardt abgeschaut haben, und die sie dann nur mit aktuellen Worten und aktuellen Themen füllen mussten. Nicht, dass Degenhardt es erfunden hätte, nur hat er halt sehr oft und sehr effektiv davon Gebrauch gemacht. Zur Abkehr vom Fun-Punk, die die Zitronen 1994 mit dem Album »Das bisschen Totschlag« einleiteten, gehörten auch neue Texte. Bei »80.000.000 Hooligans« werden Phrasen der verharmlosenden und Tatsachen verkehrenden Medien wiedergegeben:

So so betroffen und zornig so plötzlich. / Sie hatten nachgezählt. / Sie entschieden 17 Tote seien jetzt genug. / Ja die Härte des Rechtsstaats ganz genau! / Zumal es waren ja anständige Ausländer / steuerzahlende Möllner fast wie du und ich. / Nachbarn können das / bezeugen 'Heil Hitler!' wurde gesagt. / Der erste Tote dieses Wochenendes wurde nicht mit aufgeführt. / Sogenannter Autonomer, abgestochen von stolzen Deutschen / verblutet auf dem Bahnsteig mitten in Berlin. / Aber aber nichts weiter als rivalisierende Jugendbanden. / Das bisschen Totschlag bringt uns nicht gleich um! / „Hier fliegen nicht gleich die Löcher aus dem Käse!“ sagt mein Mann. / Take it easy altes Haus wir haben schon Schlimmeres gesehn! / So einfach wird der alte Dampfer auch nicht untergehn!

Im »Lied der Medienpartner« vom aktuellen Album »Die Entstehung der Nacht« werden Rationalisierungen und Legitimierungen dieser Berufsgruppe aufgezählt, und schon damit lächerlich gemacht:

Einer muss den Job ja machen. / Eine muss den Job ja machen./  Eine und einer müssen die Jobs ja schließlich machen. / Das glitzernde Zeug verkaufen. / Nullcheckern voraus laufen. / Sprüche zusammenklauben und hinterher auf den Haufen draufhaun. / Jemand muss den Job ja bringen. / Den Sachzwängen etwas Positives abgewinnen. / Jemand muss den Laden am Laufen haben. / Denn laufen tut er sowieso auch wenn's schon besser lief.

Schorsch Kamerun sagt, dass einer wie Degenhardt heutzutage fehlt. Weinen wir also nicht den zumeist doch outgedateten Liedern Degenhardts nach, sondern weinen wir seiner Standhaftigkeit und Unbeirrbarkeit nach, und der Tatsache, dass es heute nur noch wenige seines Formats gibt. Die Goldenen Zitronen können als Brüder im Geiste Degenhardts gelten, und Degenhardt selbst hat dort seine Spuren hinterlassen. Auch sonst sind die besseren Liedermacher heute Bands, die Gustav, Ja, Panik oder 206 heißen.

Bericht und Interview von 1967: 'Wissen Sie das Lied ist ja ein sehr interessantes Ausdrucksmittel. Das Lied spricht nicht nur den Verstand des Zuhörers an, wie ein politischer Vortrag, sondern auch das Gefühl. Und diese Mischung aus rationalen und affektiven Momenten ist geradezu prädestiniert intellektuelle Unzufriedenheit zu artikulieren, also politische Kritik zu üben.'

-> Der Nachruf der Taz bringt auch etwas Kritik an Degenhardts allzu naiven politischen Auffassungen und Kategorisierungen
-> Ein ausführlicher und aufschlussreicher Nachruf wie immer auf beatpunk.org

-> Ein ebenfalls sehr aufschlussreicher Nachruf aus entschieden linker Perspektive
-> Die Liedermacher-Kollegen Konstantin Wecker und Prinz Chaos II. haben eine Würdigung für den Freitag verfasst
-> Ein sehr persönlich gehaltener Nachruf findet sich auf herrenzimmer.de

-> Das Schorsch Kamerun Interview auf DRadio Kultur
-> Einer der raren Berichte über das zum Abschiedskonzert geratene Geburtstagskonzert der Liedermacher-Szene