Dienstag, 24. Mai 2011

Spex-Replik: auf der Suche nach dem verlorenen Protestsong?

Die Mai/Juni-Ausgabe der Spex hebt einen 21jährigen Bob Dylan anlässlich dessen 70. Geburtstags aufs Cover und vermeldet dazu das Verschwinden des Protestsongs. Nicht nur könnte man langsam einmal anerkennen, dass Bob Dylan sich spätestens mit »John Wesley Harding« aus dem Jahr 1967 von Protestsongs komplett lossagte, dass er außerdem zeitlebens die ihm immer wieder zugeschriebenen Rollen als Prostest-Sänger und Stimme einer Generation vehement von sich wies. Es fragt sich auch, welcher Idee von Protestsong die Spex da hinterherläuft. Wenn man unter einem Protestsong ein Lied mit explizitem politischen Inhalt versteht, vorzugsweise gegen einen Krieg, vorgetragen mit Klampfe und Mundharmonika, dann ist der Protestsong natürlich schon lange tot. Und zwar zu Recht. Aber eben auch nur dann.

Denn wenn eine Definition von Protestsong auch Lieder umfasst, die sich textlich reflektierter, indirekter oder mehrdeutiger geben (oder ganz auf Text verzichten), und die sich des gesamten Instrumentariums und aller Praktiken des soeben angebrochenen Jahrzehnts Nr. 6 nach den 1960ern bedienen dürfen, dann ist der Protestsong alles andere als tot. Dann befindet sich in der gleichen Spex mit der Rezension von Ja, Paniks »DMD KIU LIDT« eine Besprechung eines erstklassigen Protest-Albums. Dann braucht man nur drei Monate zurückzublicken und man findet mit PJ Harveys »Let England Shake«, dem Album des Monats der letzten Spex, ebenfalls ein Album voller Protestsongs, sogar Lieder gegen den Krieg. Dann entdeckt man in den jeweils letzten Veröffentlichungen allein der hiesigen Szene eine ganze Heerschar von Protestsongs. Ob »Soldatin oder Veteran« von Gustav (oder »Verlass die Stadt«, oder »Abgesang«, oder…), ob »Bloß weil ich friere« von den Goldenen Zitronen (oder »Börsen crashen«, oder »Aber der Silbermond«), ob »Die Folter endet nie« von Tocotronic, oder »Convenience Shop« von den Sternen. Zum Teil direkter und plumper, als man das von einigen Bands gewöhnt ist, wird in all diesen Liedern eine Unzufriedenheit geäußert, gegen bestehende Zustände protestiert. Und da ist jetzt weder groß elektronisch was bei, noch Hip Hop oder was es sonst noch alles an schönen Schubladen gibt.

Die ersten Zeilen, die auf dem neuen Album von Ja, Panik gesungen werden, lauten „Wohin ich blicke, seh‘ ich jemanden, der sich für jemand anderen zum Trottel macht, und ich befürchte, das hat sich nicht einmal, nein das hat sich niemand ausgedacht.“ »This Ship Ought to Sink« heißt der Song, und was mit dem Schiff gemeint ist, dürfte klar sein, nur gibt es eben keinen eindeutig auszumachenden Verantwortlichen, kein klares Feindbild. In »Barbarie« heißt es „Es steckt in meinem Kopf, es klebt an meinen Schuh’n, they brought it on the news last afternoon, the dark times they’ve just begun, there’s darkness in the years to come, […] I could easily blame it on somebody else, it’s all to blame on me, I’m the last born of an incest dynasty, my mother is the Barbarie itself.” Die eigene Verstrickung in das wie-es-nun-mal-Ist wird hier thematisiert, ist es deswegen kein Protestsong mehr? Braucht ein Protestsong naive Vereinfachungen, klare Fronten, schwarz-weiß-Malerei? Würde ein Protestsong heute so überhaupt noch funktionieren? Abseits von Wolfgang Niedecken oder Gunter Gabriel, bei denen es das eben nicht mehr tut? Ich werde den Teufel tun und aus dem Titelstück »DMD KIU LIDT«, kurz für „Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit“, aus diesem Dylan-Monster (aber wir wollten Dylan ja endlich einmal in Ruhe lassen) einzelne Zeilen zitieren. Denn, wie der Titel schon anmerkt, liegt – auch das eigentlich eine alte Spex-(via-Blumfeld-)Weisheit – das Politische im Privaten, hängt alles mit allem zusammen. Dennoch finden sich auch in diesem Song explizit politische Zeilen, die radikalsten und zornigsten des Albums, ja, es wird sogar eine vage Utopie formuliert. Einiges an Protestongs also, mithin Lieder, die im Vergleich zu den vorigen Alben von Ja, Panik vielleicht an Lautstärke und Schmissigkeit verloren, an Intensität und Dringlichkeit jedoch unglaublich zugenommen haben. Etwa wenn Sänger Andreas Spechtl in »Nevermind« leicht zähneknirschend spricht, begleitet nur von einer unheimlich zornigen, elektrisch verstärkten Gitarre. Mit Sicherheit das großartigste deutsch-und-englischsprachige Protest-Album des Jahres.


Eine Mischung aus Falco und Dylan und explizit wie implizit politisch: DMD KIU LIDT

Aber auch auf internationaler Ebene kam mit PJ Harveys »Let England Shake« erst vor kurzem ein Meilenstein musikalischer Protestkultur auf den Markt. Gnadenlos wird mit Englands Verwicklung in Kriege wie den Afghanistan-Krieg abgerechnet, oft in Liedern, die sich gegen Krieg allgemein äußern. Der Titelsong rechnet mit dem blutverschmierten England ab; „erzittern“, beben soll es, schwer vom Gewicht der „silent dead“, wie es da im Atlantik rumliegt. »On Battleship Hill« ist eine universelle Kriegs-Parabel (auch wenn sie auf ein Geschehnis von vor 80 Jahren anspielt), die die Sinnlosigkeit von Kriegen anprangert. Denn der einzige Sieger ist die „cruel nature“, die den vom Krieg vernarbten Hügel wieder überwuchert. Aber auch 80 Jahre nach der Schlacht liegt dort noch „a hateful feeling“ in der Luft, das daran erinnert, dass hier einst ein anderer Auswuchs der grausamen Natur seine Spuren hinterließ. »The Words That Maketh Murder« nimmt die Perspektive eines Soldaten ein und schildert die Ungeheuerlichkeiten des Kriegs aus dessen Sicht, gleichzeitig erinnert der Song daran, dass es Worte sind, die das Morden erst möglich machen. Eine Schrammelgitarre, Handclaps, eine schunkelige Trompete und ein Sixties-Männer-Chor, der „The words that maketh murder“ trällert, begleiten das Lied und verleihen ihm trotz der düsteren Stimmung eine gewisse Leichtigkeit, Tanzbarkeit sogar. Schönes Kunststück, das PJ Harvey öfter auf diesem Album gelingt. Moderne Protestsongs müssen also keineswegs dröge sein, gerade deshalb wird »Let England Shake« über Jahre hinweg ein Referenzpunkt in Sachen Protestlieder bleiben.


PJ Harvey hat vor, zu jedem Lied des Albums ein Video zu drehen. Viele davon sind schon auf Youtube.

Man hätte also genau so gut einen 26jährigen Andreas Spechtl auf das Cover nehmen können, und dazu die Wiederentdeckung des Protestsongs verkünden können. Oder eine 41ährige PJ Harvey schon in der letzten Ausgabe, mit der gleichen Schlagzeile.

Aber vielleicht fehlt ja vor allem der Protest, nicht die Lieder dazu? Schließlich kann jedes Lied als Protestsong hergenommen werden, solange eine Community oder Protest-Bewegung sich damit identifiziert. In diesem Sinn wären die oben genannten Songs lediglich „politische Lieder“, die sich zu Protestsongs eignen würden. Die Eignung als Protestsong ist allerdings keineswegs eine Qualität, die ausschließlich im Lied selbst liegt. Aber auch hier gilt: keine Protestsongs mehr? Bei mir liegt noch eine Platte vom vorletzten Hamburg-Besuch rum mit dem schönen Titel »Plötzlich sagen alle, ich sei konkret ein Gentrifizierungswixer, dabei hab ich mir schon seit längerem immer voll geil einen auf St. Pauli abgewixt«. Eine EP mit Protestsongs gegen die Gentrifizierung in Hamburg, der unter anderem Remixe von den bereits erwähnten Gustav und den Goldenen Zitronen enthält. Auch der »Frappant-Haus-Song« des Due Nutti Soundsystem (die Frau und Herren Rica Blunck, Jacques Palminger und Viktor Marek, auch unter dem Name Jacques Palminger & the Kings of Dub Rock unterwegs), eine Neu-Interpretation des Ton-Steine-Scherben-Hits »Rauch-Haus-Songs« von Ton, Steine, Scherben wurde zur Zeit der Proteste gegen die grassierende Gentrifizierung in Hamburg in den Kampf geschickt. „Nur“ ein Cover also, aber ist die Aktualisierung eines alten Protestsongs nicht eine dieser Zeit angemessene Strategie, ist der Verweis auf bereits geführte Kämpfe nicht gewitzter, als einen „neuen“ Rauch-Haus-Song zu schreiben, der ja doch nicht mehr „neu“ sein könnte?

Und der Klampfe-Protestsong a la „Masters of War“, auf den sich in der Spex auch der alte Protest-Sänger Kristof Schreuf in seinem Protestsong-Abgesang bezieht, ist ja aus gutem Grund aus der Mode. Nicht nur tut er, wie Schreuf schreibt, der Musik Gewalt an, indem er Inhalt über Form stellt. Auch sind die Zeiten nicht mehr dieselben wie 1963. Die Probleme sind nicht mehr so simpel, wenn sie das überhaupt jemals waren. Zwar ist Krieg immer noch Krieg, aber die Verflechtungen und Verwicklungen bis hinunter zu einem selbst treten heute deutlicher hervor, als noch in der bipolaren Welt des Kalten Kriegs. Der Klampfe-Protestsong hat sich angesichts dessen überlebt, er war immer schon viel zu naiv. Die Reaktivierung eines alten Protestsongs in neuem Gewand kann dennoch eine Strategie sein, diesen Umstand zu reflektieren, und trotzdem klar gegen etwas Position zu beziehen. So geschehen bei „Masters of War“ von Anika, der mit kühler, unnachgiebiger Frauenstimme vorgetragen wird, und mit einem Dubstep-Beat unterlegt ist, der stark an »My Generation« von The Who erinnert. Das bessere Lied auf dem Album von Anika ist trotzdem ein Cover des Bubblegum-Pop-Hits »Terry« der Bubblegum-Pop-Ikone Twinkle.

Spex hat zusammen mit Byte.FM nach neuen Protestsongs gesucht, die auf die „politischen, sozialen oder kriegerischen Konflikte der vergangenen Monate“ Bezug nehmen. Sicher wieder Männer, die das ausgeheckt haben. Protestsongs, die als Antwort auf einen derartigen Aufruf entstanden, möchte man sich am besten gar nicht erst anhören. Am erträglichsten, am angebrachtesten auch, schiene mir die Herangehensweise eines gewissen Knarf Rellöm auf einem Hamburger-Schule-Herzschmerz-Sampler namens »Paradies der Ungeliebten«. In »Warum ‚Paradies der Ungeliebten‘ ein Scheißtitel ist« regte er sich einst über Herzschmerz-Songs auf und machte sich über deren Struktur lustig. „Ich steh‘ vor dem Fenster und komm nicht rein“ hieß es da, und zum Sampler sagte er nur „NMV – nicht mein Verein“. Aber seht selbst, was dabei herausgekommen ist, die Jury immerhin hätte mit dem Ja-Panik-Sänger Andreas Spechtl, dem Lassie-Singer- und Britta-Mitglied und mittlerweile bestens auf Solopfaden reisenden Christiane Rösinger, dem u.a. Tocotronic-Manager Stephan Rath und dem Byte.FM Moderator Klaus Walter nicht vielversprechender ausfallen können.

-> Die 10 Gewinner-Protestsongs auf Spex.de
-> Ich bin wie immer zu spät, mittlerweile hat die Spex mal wieder (das dürfte auch die eigentliche Absicht gewesen sein) eine bunte Debatte über Politik und Musik losgetreten
-> das Juice Magazin, die Hip-Hop-Dependance des Piranha Verlags, in dem auch die Spex verlegt wird, kann im Deutschrap keinen Mangel an Protestsongs feststellen, viel eher sollte Hip Hop mal wieder in die Debatten aufgenommen werden

Ja, Panik: DMD KIU LIDT
Staatsakt, 15.04.2011





PJ Harvey: Let England Shake
Island, 11.02.2011

Dienstag, 3. Mai 2011

Ausgegraben: Punk/NDW-Fanzines

Leute, wie die Zeit vergeht. Fast zehn Jahre ist das Spektakel des deutschen Punk der Nuller Jahre, die Veröffentlichung von Jürgen Teipels Interview-Geschichtsband »Verschwende deine Jugend«, jetzt schon wieder her. Uralte Punk/NDW-Bands hatten sich angesichts des durch Teipels Buch verstärkten erneuten Interesses wiedergegründet: DAF, Slime (alias Rubberslime), die Radierer oder Die Mimmi’s; nur aus der ewig angekündigten Male-Reunion ist nichts geworden. Auch die Fehlfarben hatten, allerdings schon vor Erscheinen des Buchs, wieder zusammengefunden. Was in diesem wichtigen Buch auch immer wieder deutlich wurde: welche große Rolle Fanzines für die Szene spielten.

Etliche Ausgaben zwei der wichtigsten Fanzines, dem Ostrich (ab 1977) und dem Heimatblatt (ab 1979), aus der wichtigsten Stadt, Düsseldorf, kann man seit einiger Zeit auf der Homepage von Franz Bielmeier, seines Zeichens Gitarrist und Texter bei den Fehlfarben-Vorgängern Mittagspause, Ostrich-Gründer und Betreiber des Labels Rondo, finden. Nicht nur Bielmeier spielte und schrieb gleichzeitig, auch Peter Hein (u.a. Mittagspause, Fehlfarben, später Family 5) Jürgen Engler, Bernward Malaka (beide Male, später die Krupps) oder Gabi Delgado-Lopez (DAF) schrieben über die Szene, deren wichtigste Protagonisten sie gleichzeitig waren.

Bei der ganzen Sache ging es zu gleichen Teilen darum, sich mitzuteilen, Gleichgesinnte zu finden und mit Geheimwissen anzugeben, aber auch, die eigene Identität auszuformen. Leidenschaft ist das Stichwort, jeder Seite merkt man den Enthusiasmus an, mit dem geschrieben wurde, ganz gleich ob Lobhudelei oder Verriss. Fabelhaft oder miserabel, ein dazwischen gab es nicht. Außerdem jede Menge Klatsch und Tratsch, und jede Menge dadaesken Ulk. Zentral natürlich die lokalen Bands, Plattenläden, Clubs, Veranstaltungen und Konzerte.

Links der erste Ostrich, rechts die dritte Ausgabe des Heimatblatts. David Bowie, The Modern Lovers, Lou Reed, Pattie Smith, The Stooges, und Hansaplast, Male, Mittagspause, S.Y.P.H., DAF, Buzzcocks, 999: nur einige der großen Namen der Zeit.

Was beim Durchstöbern der mit punkiger Schludrigkeit zusammengeklebten Zeitdokumente aber auch auffällt: wie sehr es um bloße Informationen ging. Wer in einer Band spielte, wie lange es die Band schon gab, welche Platten von ihr draußen waren, die Liedtexte, was der Punk gerade in England macht, was in Hamburg los ist. Und das keineswegs nur bei lokalen deutschen Bands, sondern auch bei mittlerweile überall als Proto-Punk anerkannten Bands wie Velvet Underground oder den Modern Lovers. An diese Infos war damals offensichtlich nur schwer ranzukommen; die etablierten Medien berichteten ausschließlich über die lahmen und zahmen Ausläufer des 60iger Jahre Rock ‚n‘ Roll, sei es Progrock oder Folk-Rock, oder über Disco. Über Punk wurde, wenn überhaupt nur negativ, etwa als „Nazi-Bewegung,“ geschrieben.

Neben den einschlägigen englischen Punkbands wie Sex Pistols, Clash, 999, Slits, Buzzcocks, Wire, Sham69, Vibrators, Adverts und wie sie alle hießen fanden vor allem lokale, das heißt Düsseldorfer Bands und damit die erste Liga der ursprünglichen deutschen Punkbewegung in die Hefte: Male, Charley’s Girls, deren Nachfolgeband Mittagspause, deren Nachfolgeband Fehlfarben, DAF, der Plan, ZK, S.Y.P.H., KFC, aber auch Hans-A-Plast (aus Hannover) und Abwärts (aus Hamburg) und viele weitere heute vergessene Namen. Auch wenn Düsseldorf das Hauptthema war (wie auch nicht), gab es von Zeit zu Zeit Städte-Specials, allen voran aus London und Hamburg. Erstaunlich auch, wie viel Platz Bands und Leuten wie Lou Reed und den Velvet Underground, Iggy Pop und den Stooges, Patti Smith, Jonathan Richman und den Modern Lovers, Television oder David Bowie eingeräumt wurde. Erstaunlich trotz der Tatsache, dass diese Bands wie gesagt heute durch die Bank als Proto-Punk verhandelt werden. Die Ähnlichkeiten in der Herangehensweise und im Sound dieser Bands mit späteren Punkbands waren keineswegs nur im Rückblick als Kontinuität wahrgenommen worden. Die verschütteten Spuren von Velvet Underground über Patti Smith bis zu den Sex Pistols waren schon im Geburtsjahr des deutschen Punk erkannt worden. Diese Bands spielten tatsächlich eine aktive Rolle als Inspiration für deutsche Punk-Bands, waren nicht nur Referenzen aus der Vergangenheit, denen man im Nachhinein eine ähnliche Geisteshaltung zuschrieb.

Charley’s Girls, die Vor-Vorgänger-Band der Fehlfarben, coverten u.a. White Light/ White Heat von Velvet Underground, Roadrunner von Jonathan Richman and the Modern Lovers und No Fun von den Stooges

Es ist dann wohl Bands wie den Toten Hosen oder Slime zuzurechnen, dass das Wissen um Punk bei vielen heutigen Punks nicht weiter zurückreicht als bis zum magischen Jahr 1977. Davor: Hippie-Musik, danach und bis heute: Punkrock. So lautet die vereinfachende Formel. Sicher teilten aber auch schon damals nicht alle Punks die Meinung der Fanzine-Schreiber-»Avantgarde«. Nicht umsonst hatte sich die Punk-Bewegung bald in zwei oder mehr Lager aufgespalten, eine kreative, offene Fraktion auf der einen (sagen wir mal Intensität), eine dogmatische, formkonservative Fraktion auf der anderen (sagen wir mal Härte, auch gerne Alkohol und Gewalt), etwas später aber auch der bierernste politische Punk und die Antwort darauf, hedonistisch-ironischer Funpunk. Inklusive all der schönen Überschneidungen, Schattierungen und Fluchtlinien.

Nur manchmal fanden politische Themen, in die Hefte meist in überspitzter und ironischer Weise, etwa beim leichtfertigen Umgang mit Hakenkreuzen. Überhaupt war Ironie damals noch eine neue und wirksame Waffe, die auf totales Unverständnis im Rest der Bevölkerung traf. Doch weitaus politischer und radikaler war die Machart der Hefte. Do-It-Yourself waren Fanzines ja sowieso, und auch in der Sprechweise und der Gestaltung wurde der Ethos des Punkrock auf das Papier übertragen. Die Texte waren begeistert, frech, ironisch, lustig, manchmal wie hingerotzt, oft persönlich und oft auch persönlich beleidigend. Auf die Distanz und vermeintliche Objektivität, auf die ganze Langeweile der professionellen Berichterstattung wurde geschissen. Heraus kam eine direkte, leidenschaftlich Position beziehende, eine anarchische Sprechweise. Und auch in der Gestaltung wurde dieser anarchische Habitus umgesetzt: durch Cut-up Collagen, durch das Belassen von (oft durchgestrichenen) Schreibfehlern, durch den Wechsel von Schreibmaschine und Handschrift, durch freies Layout.

Das allmähliche Ende dieser Fanzines kam um die Jahre 1979/1980. Die neue Musik war – (nicht erst) mit Alfred Hilsbergs begriffprägender dreiteiliger Serie »Neue Deutsche Welle - aus grauer Städte Mauern« im Musikmagazin Sounds 1979 – in den etablierten Medien angekommen, dem Monster ein Name gegeben. Das Informations-Vakuum bestand nicht mehr, damit schien auch die Notwendigkeit von Fanzines nicht mehr unbedingt gegeben (sicher ein Irrtum, da damit eben auch die spezifische Sprechweise der Fanzines verloren ging). Das ist in gewohnt direkter Weise gleich in der ersten Ausgabe des Streichs, einem Fanzine aus Dortmund, ausgesprochen:

„Ach, ansonsten überhaupt kauft euch doch die Sounds, wenn ihr was über neue Platten hören wollt, ich hab kein Bock mehr Scheissemistkacke.“

Alfred Hilsberg trifft als vielleicht den umtriebigsten Akteur der Szene natürlich als letzten die »Schuld«; das Ankommen von subkulturellen Szenen und Praktiken in der Mitte der Gesellschaft – in veränderter Form – ist ein nicht zuletzt von den Protagonisten gewollter und beförderter immanenter Prozess, der sich mittlerweile dutzendfach wiederholt hat. Vielleicht ändert sich dabei aber ja doch jedesmal auch die Gesellschaft ein wenig.

Der sich aufdrängende Vergleich mit Blogs (wie ganz zuletzt auch diesem) entscheidet sich meines Erachtens weniger mit der Erscheinungsform, sprich haptisches Zeitschriftenformat versus immaterielles Weblog. Etwas Gedrucktes und in der Stadt Ausliegendes wie zum Beispiel das Münchener Superpaper ist sicher erst einmal relevanter als ein im Extremfall von niemandem gelesener Blog. Andererseits kann ich mir in meiner Moosacher Wohnung jederzeit Beiträge auf beatpunk.org reinziehen, was nicht so einfach wäre, wenn das Ding nur im Conne Island in Leipzig ausliegen würde. Vielmehr scheinen mir Haltung, Absichten, Thematik und Sprechweise auschlaggebend für einen Fanzine-Vergleich. Die Frische von Ostrich oder Heimatblatt ist in diesem Blog jedenfalls nirgends zu finden. Bekackt, aber daran kann gearbeitet werden. Die Absichten sind nur teilweise die gleichen. Mitteilungsbedürfnis und Haltung teile ich aber bitteschön komplett. Es lebe die Leidenschaft!

-> Der Ostrich bei rondo-ton.de, der leicht nostalgischen Homepage von Franz Bielmeier
-> Und das Heimatblatt auf derselbigen
-> Den Ostrich gibt es sogar wieder, nice twist of history, als Blog. Allerdings (leider) sehr viel wortkarger als damals; oft nur Musikvideos und dazu ein oder zwei Sätze
-> Ein Interview vom ehemaligen Zap-Fanzine-Schreiber Martin Büsser (RIP) mit dem Ostrich-Gründer Franz Bielmeier für die Intro
-> Ein Fanzine-Roundtable in derselben Intro-Ausgabe:
-> Die zeitgenössischen Medien über Punkrock, unter anderem der Spiegel-Schreckensbericht und Alfred Hilsbergs berühmte Serie über die »Neue Deutsche Welle«, auf der fantastisch umfangreichen Homepage von Highdive Records
-> Und ein Jürgen-Teipel-Auswirkungen-Artikel in wieder derselben Intro-Ausgabe
-> Über die Erinnerung an Punkrock/NDW (und die Rolle von Jürgen Teipels »Verschwende deine Jugend«) bei den angenehm reflektierten Leuten von paraplui.de
Damit aber auch endlich Deckel zu hier. Mehr über den frühen BRD-Punkrock folgt sicher!