Samstag, 9. Juli 2011

Pollyester / Pollyester Parking Lot II @ MaximilansForum, 07.07.2011

Lange, sehr lange schon sollte hier mal Pollyester gnadenlos abgefeiert werden. Seit 2008 hauen sie verlässlich eine großartige 12‘‘ nach der anderen raus. »You Are Amen« (2008), »Round Clocks« (inkl. dem trippigen »Indian«, 2009), »German Love Letter« (2010): alles allerfeinste Qualitätsware. Jede 12‘‘ ein Statement, dass aus der Masse des großen Elektro-Einheitsbreis heraussticht. Im Mai schließlich das Album, das die erschienenen Songs noch einmal versammelte und neue poppige Facetten von Pollyester zeigte. Zuletzt waren Pollyester unterwegs in New York und Umgebung, wobei der Film »Earthly Powers« entstand, der Pollyester an „verwunschenen Orten“ und „aufgegebenen Plätzen“ wie einer entweihten Kirche oder einem verlassenen Nobelhotel zeigt.

Daraus wurde nun „Pollyester Parking Lot II“ im MaximiliansForum, die Fortsetzung vom „Pollyester Parking Lot“ des Frühlings 2010, das, wie sich das heute so gehört, ebenfalls Kunst und Party verband. Für die zweite Episode des Parkplatzes wurde von mehreren Künstlern eine sinkende Kirche in die ehemalige Fußgängerunterführung gebaut, ein Nachbau der „Church of the Little Green Men“, die Pollyester in den Catskill Mountains im US-Bundesstaat New York entdeckten. Das Ganze geht noch bis zum 23. Juli, verschiedene Installationen und Performances werden gezeigt, und natürlich Partys gefeiert, unter anderem eine neue Ausgabe von Zombocombo, bei denen Polly ja auch stets ihre Finger im Spiel hat und auflegt. Zur Eröffnung am 7. Juli spielten Pollyester, also Polina Lapkovskaja (alias Polly) und Manuel da Coll (alias Yossarian, nach der genial schrägen Figur aus Catch 22) plus Band, wenn man so will. Zunächst bekam man aber den Film zu sehen, eine Art Doku-Collage, aber wie das so ist bei öffentlichen Filmvorführungen in einem Party-Umfeld, kam dabei zwischen Bier Holen, Zigarette rauchen und Labern nicht viel rum. Danach wurde das ausschließlich aus Hipstern bestehende Publikum noch etwas mit Iggy Pop und Velvet Underground umgarnt, bevor es endlich hieß: Konzert.


Und gleich die erste Überraschung: Drummer Yossarian, Synthie-Mann Kaput und der Gitarrist (wer nur, wer?) spielen in der Kirche, Polly steht auf der gegenüberliegenden Seite, wo sie singt und ein paar Percussions bespielt. Wo hinschauen? Nach dem ersten Lied (»You Are Amen«) wechselt aber auch Polly in die Kirche, so dass sich ein schönes Tryptichon mit Polly in der Mitte ergibt. Die drei im ersten Stock müssen sitzen oder sich bücken, nur Yossarian im Kircheneingang kann aufrecht stehen, muss dafür aber in Kauf nehmen, kaum gesehen zu werden. Von der ersten Sekunde an bin ich mitgerissen, das Publikum insgesamt braucht wohl etwas länger, irgendwann sind aber alle euphorisiert, naja, zumindest alle, die sich in der Nähe des Kircheneingangs aufhalten. „Und du kommst schrecklich ins Schwärmen, in deinen Worten ist Exzess…“ singen Ja, Panik in »Mister Jones & Norma Desmond« und kritisieren damit zurecht eine überkommene und langweilige Form der Pop-Berichterstattung. Deshalb hier mal ganz nüchtern: es war ein sehr sehr guter Auftritt.

Und warum, wenn doch noch nichtmal das gesamte Publikum total ausrastet, wie das immerhin bei jeder Party von Frittenbude der Fall ist? Wegen der treibenden, hypnotischen Wirkung der Musik von Pollyester, wegen ihrer Tanzbarkeit, genau so aber auch wegen ihrer Interessantheit und Verspieltheit. Die Musik von Pollyester ist Party in schlau. Das Herz dieser Musik ist das Zusammenspiel von Bass und Schlagzeug, das die Songs – und die Tänzer – unaufdringlich, aber zwingend vorantreibt. Die BPM-Zahl bewegt sich dabei oft im unteren Bereich, so dass der Bass ausreichend Platz bekommt, um diese catchy Basslines zu spielen. Hier ist er vielleicht, der „Techno-Gott“ von Rainald Goetz, nur dass er eben nicht plump „Bum Bum Bum“ sagt, sondern „Bum Bumbuuum Bumbum Bumbuuum“ und ähnliche Sachen. Gewiefter halt, gewiefter auch als 99% der restlichen elektronischen Musik, die im Moment so um den Globus schwirrt.

Auf diese unglaublich tighten Rhythmen werden Pollys hypnotisch-zickiger Gesang und einzelne, oft simple Synthie-Spuren gelegt. Wobei sich auch der strenge Minimalismus Pollyesters zeigt: kein Song, der auch nur nur ein Element zu viel hat, nichts wird hier für den Effekt gemacht, alles passt seltsam organisch zusammen. Und weil diese einzelnen Elemente so sorgsam ausgewählt sind, kommen am Ende eben trotzdem vielschichtige, überbordende – und überaus tanzbare – Songs raus, bei denen man sich selten auf mehr als zwei Sachen konzentrieren kann und in den besten Momenten alles miteinander zu verschmelzen scheint.

Live ist diesmal noch eine Gitarre dabei, die sehr passende, funkige Sachen zum Pollyester-Sound beisteuert. Das gibt einigen Songs noch eine extra Note, verdrängt aber auch ein wenig den Synthie und nimmt den Songs manchmal eine Spur dieser Spannung, die sonst das Resultat der minimalistischen Herangehensweise ist. Interessanter als 1:1 die Platte nachzuspielen ist das aber allemal.


Oft werden die Songs nach einer Weile durch einen rhythmisch ungeraden Teil gebrochen, in denen Polly in einen emotionslosen Sprechgesang wechselt, der sich sehr viel von den Chicks on Speed abgeschaut hat. Der Loop wird durchbrochen, wenn der Song nach diesen Breaks wieder durchstartet, hat er die doppelte Kraft. Das hat also ungefähr die Wirkung von Bässe raus, Bässe rein, dem Abfahrt-Signal eines jeden Dorf-DJs, ist aber zehnmal innovativer und interessanter und macht deshalb auch zehnmal mehr Spaß.

Pollyester spielen so ziemlich alle Songs des Albums. Höhepunkte sind dann auch die Höhepunkte des Albums: »Round Clock« mit seiner simplen wie infektuösen Synthie-Melodie, »Concierge d’Amour«, der „Hausmeister der Liebe“ mit seinem 80er-Jahre Synthie (bei dem ich immer an »Ghost Busters« denken muss), oder »Old Shoe« mit seinem melancholischen C64-Computerspiel-Sound. Unter allem wie gesagt der tighte Groove von Schlagzeug bzw. Percussions und Bass. Und der mal glasklar-feenhafte, mal affektiert-zickige Gesang von Polly.

In der Spex wurden Pollyester mit Les Rita Mitsouko, bzw. Polly mit der Sängerin von Les Rita Mitsouko, Catherine Ringer, verglichen. Der Gesang und das Pop-Verständnis Pollys, aber auch die 80er-Jahre Synthies sorgen für diese Nähe zu „Glam-Pop und New Wave“. Aber auch die Disco ist nicht weit entfernt: der Munich Sound, den Giorgio Moroder in den 1970ern mit Donna Summer entwickelte, ist gleich um die Ecke vom Sound of Pollyester. Auch das Münchener Label Gomma (u.a. Munk) überführten und überführen den Munich Sound und die verwandte Italo Disco stilsicher (das heißt vor allem immer knapp vorbei am Kitsch) ins neue Jahrtausend, die mit Mixen von Hell und Bands wie u.a. Hercules and Love Affair während der letzten Jahre eine regelrechte Renaissance erfuhr. Pollyester haben dennoch einen unverwechselbar eigenständigen Sound kreiert. Minimalistisch und trotzdem verspielt, verwunschen und gleichzeitig hypnotisch, intelligent und dennoch mit der nötigen treibenden Kraft, um zum Tanzen zu überreden. Ein sehr sehr gutes Konzert eben.

Pollyester: Earthly Powers
Permanent Vacation

-> Die Artist-Page von Pollyester bei Permanent Vacation
-> Pollyester Parking Lot II