Montag, 25. April 2011

Dean & Britta - 13 Most Beautiful… Songs for Andy Warhol’s Screen Tests


Immer wieder diese nicht tot zu kriegende Sixties-Referenzhölle. Beatles, Stones, Bob Dylan, der Sommer der Liebe, Drogen, Kennedys Ermordung, Kings Ermordung, Vietnam, Studentenunruhen, Woodstock… Oder auch Andy Warhol, seine Factory, Velvet Underground und Nico. Waren die 60er Jahre wirklich dermaßen archetypisch für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts? Und sind sie das bis heute? Oder hat das eher was mit Meinungsführerschaften, Vermarktungsstrategien und Kaufkraft zu tun?

Ein neues Sixties-infiziertes Produkt steht jedenfalls schon seit letztem Jahr in den digitalen Ladentheken. Dean & Britta haben mit »13 Most Beautiful… Songs for Andy Warhol’s Screen Tests« die Andy-Warhol- und Velvet-Underground-Dose aufgemacht. Es handelt sich – wie es der Albumtitel schon verrät – um 13 Songs, die als Musik zu 13 von Andy Warhols »Screen Tests« entstanden. Darunter sind auch einige Remixe, auf einer zweiten CD sind vier weitere Remixe und vier „Original Mixes“ versammelt, die nicht für die »Screen Tests« verwendet wurden. Das ganze geschah auf Einladung des Andy Warhol Museums und des Pittsburgh Cultural Trust, bereits vor dem Release des Albums (bzw. der CD/DVD Box) tourten Dean & Britta damit durch die USA und die übrige Welt, bis 2012 sind weitere Aufritte rund um den Globus geplant. Am 26. April spielen Dean & Britta in Münster im Gleis 22 ihr einziges Deutschland-Konzert, allerdings werden dann Galaxie 500 Songs zelebriert, nicht die »13 Most Beautiful…« Sachen. Ich würde töten, um das zu sehen, habe aber erst vor kurzem wieder einmal gelernt, dass man manche Sachen nicht übers Knie brechen sollte.

Von den »Screen Test« hat man bisher in der Regel mehr gehört als gesehen. Erstmals sind parallel zur Veröffentlichung der »13 Most Beautiful…« Box auch einige der frühen Filme Andy Warhols auf DVD veröffentlicht worden. Warhol hat von 1964 bis 1966 400 bis 500 dieser »Screen Tests« gemacht. Eine unbewegte Kamera filmt das Gesicht des Porträtierten für drei Minuten, so lang wie eine 16-Millmeter-Filmrolle zum Durchlaufen braucht. Ziel Warhols war es, das „Innere“ der porträtierten Menschen – berühmte Schauspieler und Pop-Stars genauso wie Unbekannte aus dem Factory-Umfeld – zum Vorschein kommen zu lassen. Das bedeutete aber auch, dass die Kamera eine gewisse Unerbittlichkeit haben musste. Letztendlich, das zeigen die 13 »Screen Tests«, kommt es aber auf die porträtierte Person an, inwiefern sie diese Unerbittlichkeit zuließ oder ihr auswich. In jedem Fall aber findet eine Fetischisierung der Porträtierten statt, ein Effekt, der durch eine kaum wahrnehmbare Zeitlupe verstärkt wird: Die ursprünglich drei Minuten eines Films wurden auf vier Minuten gedehnt. Diese Fetischisierung wird durch die Musik nun natürlich verstärkt.



Dean & Britta, aus Deans Band Luna hervorgegangen und seit nunmehr fast 10 Jahren gemeinsam unterwegs, machen eigentlich einen auf Serge Gainsborough und Jane Birkin. Duette mit tiefer und hoher Stimme, mit viel Gehauche, chansoneske Pop-Songs, viele Streicher, viel Schmalz. Hart, extrem hart an der Grenze zu Kitsch. Dean Wareham mit tiefer Stimme, ganz ungewohnt, wenn man an die drei Alben der unsterblichen Galaxie 500 denkt, deren Sänger und Gitarrist Dean einst war. Aber das ist eine andere Geschichte.

Mit „13 Most Beautiful…” haben sie die Chanson-Pfade verlassen und sich wieder mehr in Richtung Velvet Underground bewegt. Das passt, weil Velvet Underground in Warhols Factory ihren Anfang nahmen, weil mit Lou Reed und Nico auch auf den »Screen Tests« zwei Velvets zu sehen sind, aber auch weil Dean Wareham seit Galaxie-500-Zeiten Fachmann in Sachen Velvet Underground ist. Das Ergebnis ist dann auch entsprechend fantastisch: mal bedrohlich, mal traumhaft, mal mit, mal ohne Gesang ist zu jedem »Screen Test« ein passender Song entstanden. Dean & Britta bedienten sich bei Covern, Dean & Britta Stücken und eigens für das Projekt geschriebenen Songs.

Für den »Screen Test« von Nico wurde das Bob Dylan Stück »I’ll Keep It With Mine«, das erst in der Version von Nico selbst bekannt wurde, gewählt. Dean & Brittas Version ist um einiges leichter und luftiger, ganz dem vergleichsweise lockeren »Screen Test« entsprechend, in dem Nico mit ihren Haaren und einer Zeitschrift spielt. Britta versucht erst gar nicht, Nicos eindringlichem, düstern Gesang zu imitieren, und optiert stattdessen für einen hellen, glasklaren Gesang, der aber ebenso schlüssig ist. Der vorsichtige Autotune-Effekt des Scott Hardkiss Remix‘ sorgt für einen Hauch Modernität und verhindert vor allem, dass die Angelegenheit all zu authentisch daher kommt.

Das Hauchen der Texte ist bei manchen Liedern geblieben, so zum Beispiel beim Cheval Sombre Cover »I Found It Not So«, das Ann Buchanans »Screen Test« begleitet. Statt kitschig zu wirken, verleiht es dem Song hier aber Tiefe, die Traurigkeit und das Geheimnisvolle des Songs gewinnen an Intensität. Genauso traurig und etwas verloren wirkt auch Ann Buchanan.

Lou Reeds arschcooler »Screen Test«, in dem er sonnenbebrillt eine Coca-Cola-Flasche leert, und damit eben auch verhindert, dass die Kamera sein „Inneres“ ablichten kann, wird ebenfalls mit einem Cover bedacht. Die Velvet Underground Rarität »I’m Not a Young Man Anymore« unterlegt, düster und bedrohlich vom Bass bis zum Gesang, das unfreiwillige Product Placement des Erfrischungsgetränke-Herstellers. Die Textzeilen müssten Lou Reeds performter Coolness eigentlich entgegenwirken, bei derart rasanter und bedrohlicher Musik kann davon allerdings nicht die Rede sein.

Aber auch wenn kein Velvet-Stück gecovert wird, kommen die Lieder entschieden Velvet-like rüber. Schon das erste Stück, »Silver Factory Theme«, wartet mit dieser Velvet Underground eigenen Spannung auf, ein Thema wird immer wieder auf der Gitarre wiederholt, dass die Spannung und diese gewisse Bedrohlichkeit immer weiter anschwellen. Irgendwann kommt dann doch noch ein erlösender Break, nur damit das Spiel von vorne beginnen kann, auf der nächsten Stufe. Andere Songs nehmen sich die ruhigen Lieder der dritten Velvet Platte zum Vorbild, wirken verträumt, düster oder traurig. Trotzdem wirken die Songs nie wie schlichte Kopien, dafür ist Dean Wareham ein zu starker Songwriter bzw. Song-Aneigner.

Dass sich bei einem derartigen Projekt Nostalgie nicht vermeiden lässt, liegt auf der Hand, zumal alle Songs die Wirkung der Filme unterstützen und nicht etwa brechen. Trotzdem ist ein eigenständiges Album herausgekommen, dessen Lieder alle eine intime, sorgfältige Auseinandersetzung mit dem jeweiligen »Screen Test« darstellen, die aber auch ohne Film ihre Wirkung nicht verfehlen. So lange derart schöne Sachen dabei heraus kommen, kann sich ruhig weiter in der Sixties-Referenzhölle herumgetrieben werden.



Dean & Britta: 13 Most Beautiful... Songs for Andy Warhol's Screen Tests
Double Feature, VÖ 27.07.2010

-> Dean & Britta
-> Dean & Britta spielen am 26.04. in Münster im Gleis 22

Samstag, 23. April 2011

Chuckamuck @ Rote Sonne, 20.04.2011


Schon zum zweiten Mal sind Chuckamuck, meine Band der Stunde, jetzt in München. Schon im August letztes Jahr haben die super Leute von Razzle Dazzle im Puerto Giesing ein Konzert mit Chuckamuck organisiert, diesmal luden die super Leute von Club 2 zum Chuckamuck Konzert in die Rote Sonne. Letzten August wusste ich noch gar nichts von diesem Wirbelsturm einer Band; aber auch diesmal, dank Spex bestens informiert und dank Spex-CD sofort angesteckt, sollte ich es dennoch nicht zum Konzert schaffen. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: die Tickets waren schon gekauft. Nur stellte sich blöderweise heraus, dass der Termin mitten im Jahresurlaub liegt. Selbst unsinniges aus-dem-Urlaub-Zurückkehren wurde nicht belohnt: bevor die vier Jungspunde überhaupt die Bühne betraten, mussten wir schon wieder zurück, den letzten Zug nach Oberaudorf nehmen. Na, wenigstens kaufte mir meine Freundin noch die CD als Trost. Statt eines Konzertberichts hier also wie es gewesen sein könnte.

Die Leute treffen nur recht spärlich ein, bis Chuckamuck schließlich die Bühne betreten, sind aber wohl doch so 50 Leute da. Damit ist die Bude zwar alles andere als voll, Chuckamuck lassen sich davon allerdings nicht irritieren und fangen gleich mit dem rasanten Rock ‚n‘ Roll Stück »Outta my Way« an. Das Programm des Abends ist abgesteckt: Ausflippen ist angesagt, wildes Durcheinander, Springen, Tanzen, Pogen auf und vor der Bühne. Auch das nächste Lied »Mars Mandel«, ebenfalls ein unkontrollierter Rock ‚n‘ Roll-Köter, der ebenjenen Schokoriegel anpreist, verspricht dieses schönste aller Konzerterlebnisse.

Gerne würde ich die Band auf den Punkt bringen, aber was soll man machen, wenn Götz Adler in der Sendung »Neuland« bei Byte FM das schon für einen erledigt hat? Am besten wohl einfach Götz Adler sprechen lassen, also: „Endlich, endlich, endlich schafft es hier bei Byte FM mal ein Haufen Rotzlümmel auf den Thron des Albums der Woche. Chuckamuck heißen sie, kommen aus Berlin, das Testosteron und der Alkohol sprudeln gut bei diesem reudigen Quartett. Seit ihren Anfängen vor drei Jahren sind Chuckamuck zu Recht die Lieblinge des Untergrunds der deutschen Hauptstadt, denn mit ihrer Unbedarftheit und Frische in Kombination mit dem unkontrollierten Talent in zweieinhalb Minuten mit einfachen deutschen Worten eine romantische Geschichte von Berlins Straßen, von Saufgelagen oder Begegnungen auf Parties zu erzählen, sind sie erstaunlicherweise ziemlich allein auf weiter Flur. Dabei reden doch immer alle vom Komasaufen. Wo Bitteschön sind die Bands, wo ist das Sprachrohr dazu? Man muss jetzt Chuckamuck auch nicht unbedingt zur Alibi-Band einer anderen Jugendkultur machen. Aber Chuckamuck vermitteln das Gefühl des Vorwende-Berlins mit den Mitteln des Sixties-Power-Garagenpop, der auch seine himmelhochjauchzenden Mitgröl-Momente hat. Und sie zeigen allen langweiligen Tighty-Pants, Indie-Rockbands und hängengebliebenen Progrock-Gitarrenlehrern abenteuerlustig den Stinkefinger. Trinken, Rauchen, Knutschen, feist und vergnügt bis zum Umfallen.“ Genau das ist Chuckamuck und zur Auslebung all dieser jugendlichen Tugenden soll man heute Abend ausreichend Gelegenheit bekommen.


Und dann kommt auch schon eines meiner Lieblingsstücke, »Mein Hund und ich«, mit den fabelhaften und kraftspendenden Zeilen „Ich hab aufgehört zu reden/ Denn dann hab ich/ Mehr Zeit zum Trinken / Ich hab aufgehört zu essen/ Denn dann hab ich/ Mehr Zeit zum Rauchen.“ Affirmation von durch die Mainstream-Kultur als »schlecht« festgelegten Eigenschaften war eigentlich schon immer eine gute Idee, oder? Natürlich ist das Lied in allererster Linie ein Kind gelebter Jugend mit den ihr eigenen Alkoholexzessen und exzessivem Zigarettenkonsum. Aber warum eigentlich wird so etwas stets mit Jugend assoziiert? Leicht überhöht lässt sich das trinken-rauchen-mit-dem-Hund-auf-der-Veranda-abhängen-Dasein des Liedes jedenfalls als angenehmes sich-nicht-Scheren um die spezifischen Anforderungen dieser unserer Zeit an einen Menschen lesen. Im Kern ist aber auch das ein Liebeslied, der Grund all dieser Trinkerei und Raucherei ist nämlich, „dass du weg bist.“ Aber genau in dieser Schlichtheit der Texte liegt ja die Kraft der Lieder und der Charme von Chuckamuck.

Chuckamuck bemühen in Interviews gerne Vergleiche zu den amerikanischen Bands Demon’s Claws oder den Black Lips. Schon grob zehn Jahre im Geschäft und ebenfalls wilden Sixties-Rock ‚n‘ Roll spielend fehlt diesen Bands aber das letzte Quäntchen Frische und Unkontrolliertheit. Es sind Vorzeige-Sixties/Garage-Revival Bands, und als solche ein wenig langweilig, Teil eines Trends, der in den USA seit Anfang/Mitte des letzten Jahrzehnts immer mehr Anhänger findet, und zu denen man auch die fabelhaften Oh Sees zählen darf. Viel passender scheint mir aber, zu behaupten, dass Chuckamuck eine überaus gelungene Kreuzung aus Libertines (und damit aus Rock ‚n‘ Roll all the way back bis zu den Sonics oder Chuck Berry) und den frühen Tocotronic sind. Deutschsprachiger Garage-Pop war noch nie so erfrischend (Gegenbeispiel erwünscht!), die Roheit der Songs spricht für sich, sowohl was die simplen Songstrukturen angeht, als auch die Herangehensweise bei der Aufnahme der Platte. Hier wird bestimmt und gekonnt in eine Lo-Fi-Tradition getreten, die nicht erst mit Tocotronic begann, und die schon gar nicht die Libertines erfanden, zu deren herausragenden Beispielen diese beiden doch so verschiedenen Bands heute aber gehören. Zwar sind die Texte nicht derart neu und sophisticated, wie es die frühen Toco-Texte waren, sie kommen aber genauso aus-der-Hand-geschüttelt rüber, sind die perfekte Entsprechung der primitiv anmutenden Arrangements und der schludrigen Spielweise von Chuckamuck.

Mit dem kleinen Hit »Ostsee« bricht vollends Chaos über die Rote Sonne herein. Alles springt durcheinander hin und her, Sänger und Gitarrist Oska Wald kommt von der Bühne ins Publikum. Ich verliere meine Brille, und ein anderer tritt auch gleich drauf. Egal. Bei einem derart ungestümen Lied schiebt man den Gedanke an die 150 Euro für ‘ne neue Brille leicht beiseite.



Die vier Jungs sind allesamt gerade mal Anfang 20, junge Kerle also, genau wie die Jungs von 100 Robota etwa, oder MIT. Wo 1000 Robota hamburgisch-intellektuell und aufmüpfend daherkommen, und wo MIT mit Kölner Kühle und Abgebrütheit glänzen, verkörpern Chuckamuck wieder einmal die hedonistische Seite Berlins. Dem Perfektionismus von MIT wird Schludrigkeit entgegengestellt. Während 1000 Robota sich offen politisch, anklagend geben, nehmen sich Chuckamuck einfach, was sie wollen, so scheint es.

Nach dem Chaos von »Ostsee« gibt es mit »Dan Treacy« eine kurze Verschnaufpause. Nur zur Akkusitkgitarre trägt Wald eine schon Tausendmal, aber dann genau so eben auch noch nie gehörte Ballade vor, die ein Treffen mit der zeitweise ziemlich tragischen Figur des Sängers der Television Personalities beschreibt. Dan Treacy geht es „okay“, man geht Zitronentee trinken (was mich an die Zitronenbiere der Lassie Singers erinnert, ebenfalls so eine schöne Alltagsbeobachtung). Am Abend gibt’s ein Konzert der TV Personalities und dann muss Dan auch schon wieder weiter, der Protagonist schaut wehmütig dem Flugzeug hinterher. Das Publikum ist pietätvoll genug, um keine Feuerzeuge zu schwingen, auch wenn der Song mit seinen banalen Begebenheiten besonders melancholisch stimmt. Hat man alles schon einmal erlebt, so einen verschlafenen, aber perfekten Tag mit einem Menschen, der dann wieder gehen muss.

Natürlich wollen Chuckamuck vor allem Mädchen zum Tanzen bringen. Das wird auch recht unverblümt im letzten Song des heutigen Abends, »Chuckamuck«, zum Ausdruck gebracht. Hier heißt es „Mädchen aus Hamburg/ Mädchen aus Verona/ Mädchen aus Barcelona/ Mädchen aus Malmö/ Mädchen aus Wien/ Wir sind Chuckamuck/ und wir kommen aus Berlin.“ Zwar sind heute Abend mehrheitlich Jungs da, unter denen, die sich bewegen, sind aber sicher die Hälfte Mädchen, der Plan von Chuckamuck geht also auf.



Eine Zugabe gibt es nicht, wie auch? Die Band hat gerademal ihr erstes Album von guten 35 Minuten Spieldauer (wie zu besten Zeiten des Rock ‚n‘ Roll) veröffentlich. Diese 35 Minuten, genau wie der Abend heute sind jedoch knackevoll gepackt mit Leidenschaft, Spaß und großartigen kleinen Melodien. Noch einmal Götz Adler: „Sicher nicht unbedingt schrecklich originelle Musik aber dafür ganz schön ungewöhnlich in dieser Zeit in Kombination eben mit der Haltung und den Texten und vielleicht deshalb so sympathisch und charmant.“ Word!

Nach dem Konzert legt Upstart noch aus seinem gut sortierten Elektro-Regal auf. Chuckamuck tauchen, nachdem sie ihr Equipment im Tourbus verstaut haben, im tanzenden Restpublikum auf. Ich rede kurz mit ihnen, bin aber vom überteuerten Rote-Sonne-Bier schon zu betrunken gemacht, um wirklich noch etwas heilwegs Vernünftiges herauszubringen. Vielleicht waren das aber auch gar nicht Chuckamuck, Hannes meint nämlich, die wären schon längst weiter ins Atomic.

Chuckamuck: Wild for Adventure
Staatsakt, VÖ: 18.03.2011











-> Chuckamuck
-> Interview mit Chuckamuck bei Dorfdisco

Montag, 4. April 2011

1, 2, 3, 4, 5, 6, 77! - The Shocks


Punkrock ist tot! Wer bis auf die Punks selbst wüsste das nicht. Aber, liebe Leser, wir reden hier nicht von staubigem, spaßfreien Punkrock a la Dritte Wahl, der sich im eigenen, ewig gleichen Morast dreht wie eine Nadel in der Auslaufrille eines Plattenspielers, den man vergessen hat, auszuschalten. Oder gar von der Zwieback-Ödnis, die die Intro mit Punkrock verwechselt, wenn sie mal wieder die Nachfolge der viel zu spät aufgelösten Muff Potter in irgendwelchen schlaffen, vermeintlich raubeinigen Befindlichkeits-Muckern feiert. Wir reden nicht von „Punkrock,“ der aus einer Anti-Haltung heraus entsteht, die man als Teenager irgendwann einmal aufgeschnappt hat, und an die man sich seither so gut gewöhnt hat, dass man den Stachel gar nicht mehr spürt. Wir reden von 1977, von Frische, Intensität, Wut und Hedonismus. Wir reden von the Shocks.

Dresden, Chemiefabrik, Herbst 2006. Keller-Atmosphäre, Bierchen trinken, kickern, Vorband, dann die Shocks. Bis zum letzten Song pogen die vielleicht 100 Leute. Eines von den Konzerten, bei denen man nur kurz zwischen den Liedern verschnauben kann, bevor man, sowieso schon völlig durchgeschwitzt, wieder in den Menschenklumpen springt. Total am Ende aber glücklich, mit einem verdrogten Lächeln im Gesicht. Wenn man nicht sowieso bei jedem Lied wild herum springen müsste, weil die Lieder der Shocks eben Lieder sind, zu denen man gar nicht anders kann, als wild herumzuspringen, dann müsste man das tun, weil man genau so alles geben will, wie die Band das tut. Ich hatte schon zu der Zeit nichts mehr mit Punkrock am Hut, aber diese Band war die späte Erfüllung all der uneingelösten Versprechen, mit denen man als Punk, ständig auf der Suche nach dem intensivsten Konzert und der verrücktesten Party, so lebte.

Zu viel Input um mich rum das macht mich schlapp und dumm ich brauch n Kick

Zu viel Input um mich rum das macht mich schlapp und krumm ich brauch n Kick
Tag für Tag die selbe Leier
Ich hänge in der Leine wo sind meine Eier

Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick
Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick
Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick
Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick
Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick
Ich brauch n Kick - Ich brauch n Kick - More Kicks
More Kicks - More Kicks - More Kicks
Aaah, more Kicks

Ich war peinlich spät durch meinen Bruder zu Punkrock gekommen. So spät, dass ich trotzdem weiter auch Pink Floyd hörte, und mir kein Punk-Outfit mehr zulegte. Trotzdem hatte ich mit Punkrock die allerbesten Jugend-Erfahrungen gemacht. Konzerte von drittklassigen Punkrock-Bands im Zwickauer Gasometer, bei denen wir uns das erste mal zaghaft und noch voller Respekt in den Pogo-Kreis wagten. Später abgeklärtes, selbstsicheres Hineinwerfen und Pogen auch in den härtesten, von boxenden Oi-Skin-Schränken durchsetzten Pogo-Mobs. Nichts mit Festhaken, Eingraben und Schützen, meist unter Inkaufnahme von Rippenschmerzen. Unvergessliche Konzerte von Terrorgruppe, Fucking Faces, UK Subs und Vibrators , im AJZ Talschock in Chemnitz, im Leipziger Conne Island, im Alten Schlachthof in Dresden, irgendwo in Schwarzenberg. Mit am schönsten immer die nach Hause Fahrt, wenn man die ganzen blauen Flecken überhaupt erst spürt und sich so angenehm kaputt fühlt. Die eigene Punkrock-Band inklusive Eierpappen-Proberaum, tausend verrückte Geschichten, sehr viel Bier, Diskussionen über Nazis, Bullen, Hippies, Pseudo-Punks, Anfeindungen von Nazis. Das ganze Identitätsfindungs-Ding. Die Musik immer dabei.

Und irgendwann war das dann alles wieder vorbei. Überall nur noch Kinderpogo, nichts, was man nicht schonmal irgendwo härter, krasser, intensiver erlebt hätte. Dazu durchschaute man die Bands - und viele andere Punks - so langsam als etwas stehen geblieben in der Zeit. Ich schaute meistens nur noch zu und warf mich höchstens mal für ein paar Lieder ins Getümmel, das fühlte sich dann immer ziemlich nostalgisch an. Und schließlich kaum noch Punkrock. Bis wieder mein Bruder eines Tages mit den Shocks ankam. Auf einmal alles wieder da.

Sie ist ne kleine Vorstadtschlunze und hat keinen Bock
Auf Schule, Arbeit und Familie und Mutters Unterrock
Sie ist gelangweilt und frustriert und voller Energie
Sie hat sich jetzte jäh verpisst aus der trauten Lethargie

Sie ist dreizehn und sie hat es -
Sie ist dreizehn und sie hat es -
Sie ist dreizehn und sie hat es -
Sie ist dreizehn und sie hat es allemal weg

Die Shocks erfinden das Rad natürlich keineswegs neu. Und man kann ihnen ohne Probleme die selben festgefahrenen Denkmuster und das selbe naive Politik-Verständnis vorwerfen, das man 100% des restlichen Punkrock, sobald es sich Punkrock nennt, vorwerfen muss. Und natürlich leben die drei Jungs SMail (Gesang, Gitarre), Alex (Schlagzeug) und Don Lotzo (Bass) ihr Lederjacken-Punkrock-Dasein. Es ist also alles ziemlich authentisch hier. Ihre Musik ist kein arty Spiel mit Punkrock-Referenzen, kein kreatives Überführen von Punkrock in andere Stil- und Musikrichtungen, sondern ernst und ehrlich gemeinte Hausmannskost. Nur dass der Diskurs eben schon zwanzig Jahre weiter ist; Punk eigentlich nur noch das sein kann, was nicht nach Punkrock klingt.

Doch das alles wischen die Shocks mit ihrer Frische und Scheißegal-Attitüde vom Tisch. Die Shocks spielen zum Teil schneller, als die allerschnellste „Punkrock“-Band, die doch nur Rolling-Stones-Riffs in schnell spielt. Die Leichtigkeit, mit der das geschieht und mit der Bass, Schlagzeug und Gitarre in eins greifen, lässt das aber nie prahlerisch, protzig, plump oder muffig wirken. Auch, weil alles so einfach klingt. Die Surf-Gitarre in vielen Songs verstärkt diese Leichtigkeit noch einmal. Geradezu vorbildlich Tarentino-tauglich ihre Surf-Instrumentals. The Shocks spielen einfachen, schnellen Seventies-Punkrock ohne Umwege. „Nasty Nasty“ von 999, wenn man so will, aber auf eine Weise, als wäre das gestern zum ersten Mal gespielt worden. Und genau so unaufdringlich und unmittelbar gehen die fantastisch einfachen Melodien in die Ohren.

Du stehst morgens auf aber willst gar nicht
Parfumgestank schlägt dir in der U-Bahn ins Gesicht
Dieselbe scheiße hast du jeden Tag

Nicht mehr lange und du kackst ab


Und du musst schuften gehn - Ahahah

Du musst deinen Mann stehn

Und du musst Schuften gehn

Du hast zwei Kinder, ne Frau
und ein Haus
Und wartest auf d
ie Sechzig, denn da machst du einen drauf, aha

Die Shocks singen über Punkrock-Themen. Kein Bock auf Arbeit, machen, was man will, die Anonymität der Moderne, die Kälte der großen Stadt, der Hass auf die Angepassten. Keineswegs besonders clevere Punkrock-Texte, aber einfach und auf den Punkt. Was schwieriger ist, als man denkt. Zum Teil sind es bis auf die Essenz abgekochte Punkrock-Texte, die man so höchstens in der kurzen Glanzzeit des deutschen Punkrock von 1978-1980 schon einmal hörte. Die nie mit großen Metaphern oder Bildern um sich werfen, aber auch nie zu direkt oder doof sind. Sehr englische Texte, früher Rock ‚n‘ Roll, aber eben auf Deutsch. Vorgetragen mit einer Stimme, die manchmal wie ein Quaken wirkt, die zwar vehement ist, der das aber auch alles ziemlich egal zu sein scheint.

Du hast mich angerufen

Denn zwischen uns war alles klar
Aber nur wenige Minuten
Und der alte Scheiß war wieder da

Völlig krank was hier abgeht
Hab‘s bis heute nicht kapiert
Hau doch ab oder bleib hier
Ich weiß nicht mehr Kein Plan mehr da

Es raucht mich auf - Schizophrenia
Wir leben in - Schizophrenia
Es raucht mich auf - Schizophrenia

Wir leben in – Schizophrenia


Einziger Makel: The Shocks haben sich vor zwei Jahren aufgelöst. Es bleiben die Schallplatten, und die Hoffnung auf eine baldige Reunion. Denn: derart begabte Punkrocker hat das Land lange, lange nicht gesehen.

»Parasit«, Schokoladen, Berlin, 2008

Absolute Empfehlung: Alles!
Too Many Kicks in 96 (1996)
More Cuts for You in Zero Two (2002)
Bored to Be in Zero Three (2003)
The 7-Inches (2004)
Banned from the USA (2004)
Brace, Brace... (2007)

-> http://www.myspace.com/theshocksde