Dienstag, 3. Mai 2011

Ausgegraben: Punk/NDW-Fanzines

Leute, wie die Zeit vergeht. Fast zehn Jahre ist das Spektakel des deutschen Punk der Nuller Jahre, die Veröffentlichung von Jürgen Teipels Interview-Geschichtsband »Verschwende deine Jugend«, jetzt schon wieder her. Uralte Punk/NDW-Bands hatten sich angesichts des durch Teipels Buch verstärkten erneuten Interesses wiedergegründet: DAF, Slime (alias Rubberslime), die Radierer oder Die Mimmi’s; nur aus der ewig angekündigten Male-Reunion ist nichts geworden. Auch die Fehlfarben hatten, allerdings schon vor Erscheinen des Buchs, wieder zusammengefunden. Was in diesem wichtigen Buch auch immer wieder deutlich wurde: welche große Rolle Fanzines für die Szene spielten.

Etliche Ausgaben zwei der wichtigsten Fanzines, dem Ostrich (ab 1977) und dem Heimatblatt (ab 1979), aus der wichtigsten Stadt, Düsseldorf, kann man seit einiger Zeit auf der Homepage von Franz Bielmeier, seines Zeichens Gitarrist und Texter bei den Fehlfarben-Vorgängern Mittagspause, Ostrich-Gründer und Betreiber des Labels Rondo, finden. Nicht nur Bielmeier spielte und schrieb gleichzeitig, auch Peter Hein (u.a. Mittagspause, Fehlfarben, später Family 5) Jürgen Engler, Bernward Malaka (beide Male, später die Krupps) oder Gabi Delgado-Lopez (DAF) schrieben über die Szene, deren wichtigste Protagonisten sie gleichzeitig waren.

Bei der ganzen Sache ging es zu gleichen Teilen darum, sich mitzuteilen, Gleichgesinnte zu finden und mit Geheimwissen anzugeben, aber auch, die eigene Identität auszuformen. Leidenschaft ist das Stichwort, jeder Seite merkt man den Enthusiasmus an, mit dem geschrieben wurde, ganz gleich ob Lobhudelei oder Verriss. Fabelhaft oder miserabel, ein dazwischen gab es nicht. Außerdem jede Menge Klatsch und Tratsch, und jede Menge dadaesken Ulk. Zentral natürlich die lokalen Bands, Plattenläden, Clubs, Veranstaltungen und Konzerte.

Links der erste Ostrich, rechts die dritte Ausgabe des Heimatblatts. David Bowie, The Modern Lovers, Lou Reed, Pattie Smith, The Stooges, und Hansaplast, Male, Mittagspause, S.Y.P.H., DAF, Buzzcocks, 999: nur einige der großen Namen der Zeit.

Was beim Durchstöbern der mit punkiger Schludrigkeit zusammengeklebten Zeitdokumente aber auch auffällt: wie sehr es um bloße Informationen ging. Wer in einer Band spielte, wie lange es die Band schon gab, welche Platten von ihr draußen waren, die Liedtexte, was der Punk gerade in England macht, was in Hamburg los ist. Und das keineswegs nur bei lokalen deutschen Bands, sondern auch bei mittlerweile überall als Proto-Punk anerkannten Bands wie Velvet Underground oder den Modern Lovers. An diese Infos war damals offensichtlich nur schwer ranzukommen; die etablierten Medien berichteten ausschließlich über die lahmen und zahmen Ausläufer des 60iger Jahre Rock ‚n‘ Roll, sei es Progrock oder Folk-Rock, oder über Disco. Über Punk wurde, wenn überhaupt nur negativ, etwa als „Nazi-Bewegung,“ geschrieben.

Neben den einschlägigen englischen Punkbands wie Sex Pistols, Clash, 999, Slits, Buzzcocks, Wire, Sham69, Vibrators, Adverts und wie sie alle hießen fanden vor allem lokale, das heißt Düsseldorfer Bands und damit die erste Liga der ursprünglichen deutschen Punkbewegung in die Hefte: Male, Charley’s Girls, deren Nachfolgeband Mittagspause, deren Nachfolgeband Fehlfarben, DAF, der Plan, ZK, S.Y.P.H., KFC, aber auch Hans-A-Plast (aus Hannover) und Abwärts (aus Hamburg) und viele weitere heute vergessene Namen. Auch wenn Düsseldorf das Hauptthema war (wie auch nicht), gab es von Zeit zu Zeit Städte-Specials, allen voran aus London und Hamburg. Erstaunlich auch, wie viel Platz Bands und Leuten wie Lou Reed und den Velvet Underground, Iggy Pop und den Stooges, Patti Smith, Jonathan Richman und den Modern Lovers, Television oder David Bowie eingeräumt wurde. Erstaunlich trotz der Tatsache, dass diese Bands wie gesagt heute durch die Bank als Proto-Punk verhandelt werden. Die Ähnlichkeiten in der Herangehensweise und im Sound dieser Bands mit späteren Punkbands waren keineswegs nur im Rückblick als Kontinuität wahrgenommen worden. Die verschütteten Spuren von Velvet Underground über Patti Smith bis zu den Sex Pistols waren schon im Geburtsjahr des deutschen Punk erkannt worden. Diese Bands spielten tatsächlich eine aktive Rolle als Inspiration für deutsche Punk-Bands, waren nicht nur Referenzen aus der Vergangenheit, denen man im Nachhinein eine ähnliche Geisteshaltung zuschrieb.

Charley’s Girls, die Vor-Vorgänger-Band der Fehlfarben, coverten u.a. White Light/ White Heat von Velvet Underground, Roadrunner von Jonathan Richman and the Modern Lovers und No Fun von den Stooges

Es ist dann wohl Bands wie den Toten Hosen oder Slime zuzurechnen, dass das Wissen um Punk bei vielen heutigen Punks nicht weiter zurückreicht als bis zum magischen Jahr 1977. Davor: Hippie-Musik, danach und bis heute: Punkrock. So lautet die vereinfachende Formel. Sicher teilten aber auch schon damals nicht alle Punks die Meinung der Fanzine-Schreiber-»Avantgarde«. Nicht umsonst hatte sich die Punk-Bewegung bald in zwei oder mehr Lager aufgespalten, eine kreative, offene Fraktion auf der einen (sagen wir mal Intensität), eine dogmatische, formkonservative Fraktion auf der anderen (sagen wir mal Härte, auch gerne Alkohol und Gewalt), etwas später aber auch der bierernste politische Punk und die Antwort darauf, hedonistisch-ironischer Funpunk. Inklusive all der schönen Überschneidungen, Schattierungen und Fluchtlinien.

Nur manchmal fanden politische Themen, in die Hefte meist in überspitzter und ironischer Weise, etwa beim leichtfertigen Umgang mit Hakenkreuzen. Überhaupt war Ironie damals noch eine neue und wirksame Waffe, die auf totales Unverständnis im Rest der Bevölkerung traf. Doch weitaus politischer und radikaler war die Machart der Hefte. Do-It-Yourself waren Fanzines ja sowieso, und auch in der Sprechweise und der Gestaltung wurde der Ethos des Punkrock auf das Papier übertragen. Die Texte waren begeistert, frech, ironisch, lustig, manchmal wie hingerotzt, oft persönlich und oft auch persönlich beleidigend. Auf die Distanz und vermeintliche Objektivität, auf die ganze Langeweile der professionellen Berichterstattung wurde geschissen. Heraus kam eine direkte, leidenschaftlich Position beziehende, eine anarchische Sprechweise. Und auch in der Gestaltung wurde dieser anarchische Habitus umgesetzt: durch Cut-up Collagen, durch das Belassen von (oft durchgestrichenen) Schreibfehlern, durch den Wechsel von Schreibmaschine und Handschrift, durch freies Layout.

Das allmähliche Ende dieser Fanzines kam um die Jahre 1979/1980. Die neue Musik war – (nicht erst) mit Alfred Hilsbergs begriffprägender dreiteiliger Serie »Neue Deutsche Welle - aus grauer Städte Mauern« im Musikmagazin Sounds 1979 – in den etablierten Medien angekommen, dem Monster ein Name gegeben. Das Informations-Vakuum bestand nicht mehr, damit schien auch die Notwendigkeit von Fanzines nicht mehr unbedingt gegeben (sicher ein Irrtum, da damit eben auch die spezifische Sprechweise der Fanzines verloren ging). Das ist in gewohnt direkter Weise gleich in der ersten Ausgabe des Streichs, einem Fanzine aus Dortmund, ausgesprochen:

„Ach, ansonsten überhaupt kauft euch doch die Sounds, wenn ihr was über neue Platten hören wollt, ich hab kein Bock mehr Scheissemistkacke.“

Alfred Hilsberg trifft als vielleicht den umtriebigsten Akteur der Szene natürlich als letzten die »Schuld«; das Ankommen von subkulturellen Szenen und Praktiken in der Mitte der Gesellschaft – in veränderter Form – ist ein nicht zuletzt von den Protagonisten gewollter und beförderter immanenter Prozess, der sich mittlerweile dutzendfach wiederholt hat. Vielleicht ändert sich dabei aber ja doch jedesmal auch die Gesellschaft ein wenig.

Der sich aufdrängende Vergleich mit Blogs (wie ganz zuletzt auch diesem) entscheidet sich meines Erachtens weniger mit der Erscheinungsform, sprich haptisches Zeitschriftenformat versus immaterielles Weblog. Etwas Gedrucktes und in der Stadt Ausliegendes wie zum Beispiel das Münchener Superpaper ist sicher erst einmal relevanter als ein im Extremfall von niemandem gelesener Blog. Andererseits kann ich mir in meiner Moosacher Wohnung jederzeit Beiträge auf beatpunk.org reinziehen, was nicht so einfach wäre, wenn das Ding nur im Conne Island in Leipzig ausliegen würde. Vielmehr scheinen mir Haltung, Absichten, Thematik und Sprechweise auschlaggebend für einen Fanzine-Vergleich. Die Frische von Ostrich oder Heimatblatt ist in diesem Blog jedenfalls nirgends zu finden. Bekackt, aber daran kann gearbeitet werden. Die Absichten sind nur teilweise die gleichen. Mitteilungsbedürfnis und Haltung teile ich aber bitteschön komplett. Es lebe die Leidenschaft!

-> Der Ostrich bei rondo-ton.de, der leicht nostalgischen Homepage von Franz Bielmeier
-> Und das Heimatblatt auf derselbigen
-> Den Ostrich gibt es sogar wieder, nice twist of history, als Blog. Allerdings (leider) sehr viel wortkarger als damals; oft nur Musikvideos und dazu ein oder zwei Sätze
-> Ein Interview vom ehemaligen Zap-Fanzine-Schreiber Martin Büsser (RIP) mit dem Ostrich-Gründer Franz Bielmeier für die Intro
-> Ein Fanzine-Roundtable in derselben Intro-Ausgabe:
-> Die zeitgenössischen Medien über Punkrock, unter anderem der Spiegel-Schreckensbericht und Alfred Hilsbergs berühmte Serie über die »Neue Deutsche Welle«, auf der fantastisch umfangreichen Homepage von Highdive Records
-> Und ein Jürgen-Teipel-Auswirkungen-Artikel in wieder derselben Intro-Ausgabe
-> Über die Erinnerung an Punkrock/NDW (und die Rolle von Jürgen Teipels »Verschwende deine Jugend«) bei den angenehm reflektierten Leuten von paraplui.de
Damit aber auch endlich Deckel zu hier. Mehr über den frühen BRD-Punkrock folgt sicher!

3 Kommentare:

  1. was für ein artikel! sakra. - ich hätte nie gedacht, dass man soviel davon verstehen kann, ohne es von mir erklärt zu bekommen. wow :D

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  2. danke für die blumen! schön, dass man die alten hefte einfach so runterladen und durchstöbern kann, was für eine fundgrube! und, wenn wir schon dabei sind, danke für mittagspause, für immer teil meiner jugend (noch nicht so lange her)!

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  3. nix danke - von einem enthusiasten ausgegraben zu werden, ist eine wahre wonne. du schätzt mich vielleicht sogar zu hoch ein - was an der verfügbarkeit meines materials iegen kann - wir waren schliesslich auch nur enthusiasten und wollten die blöde welt entweder bekehren oder zu tode nerven. danke für die intelligente weiterführung dieser wichtigen angelegenheit!

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